Eine Märchenwelt mit Glamour und dennoch kindlich: Die Schriftstellerin Marieluise Fleisser (1901–1974) schnitt Modefiguren, vor allem weibliche, aus Magazinen heraus und stellte sie zu einer ebenso skurrilen wie lebensfrohen Szenenfolge zusammen. Sie schuf damit eine Gegenwelt zu ihrer schwierigen Lebenslage als Verfemte in Deutschland während des Kriegs. Die Schriftstellerin gestaltete dieses Bilderbuch mit kurzen Reimen für ihre beiden Neffen unter dem Titel «Im Wirtshaus ist heut Maskenball …». So zeigt sie etwa eine elegante Dame mit einem Fernglas, die eine Unbekannte im Visier hat: «Das Kapuzenweiberl schaut genau mit Operngucker auf die Frau.» Daneben der Vater im Skianzug: «Der Vati denkt ganz ungeniert, ob denn die Tanten dort nicht friert.»
Das Bilderbuch erreichte die kindlichen Adressaten wegen der Kriegswirren allerdings nie. Einer der Neffen entdeckte die Blätter schliesslich posthum in einem Schrank. Sie sind nun beim Zürcher Nimbus-Verlag als Faksimile erschienen mit erläuternden Texten, die ein Schlaglicht auf diese ungewöhnliche Frau werfen, die heute nicht mehr zu den bekannten Autorinnen jener Zeit gehört: Die Veröffentlichung ist bereits ein Jahr alt, aber nahezu unbemerkt geblieben.
Selbstzweiflerin
Fleisser sorgte 1929 mit ihrem Bühnenstück «Pioniere in Ingolstadt» für Aufmerksamkeit; Bertolt Brecht inszenierte es als radikale Collage, die zu einem Theaterskandal führte: «Der Skandal hatte sie zwar berühmt, in konservativen Kreisen aber auch berüchtigt gemacht», schreibt die Fleisser-Biografin Eva Pfister dazu. Dann ging die Schriftstellerin jahrelang vergessen, von den Nazis mundtot gemacht und in unglückliche Beziehungen verstrickt. Erst in den 60ern erlebte sie mit dem neuen gesellschaftskritischen Theater für eine Weile ein Comeback; ihre alten Texte trafen den neuen Zeitgeist exakt.
Marieluise Fleisser war eine Selbstzweiflerin, wie die Textilexpertin Annette Hülsenbeck in dem Begleitheft schreibt. Sie hielt sich für keine Künstlerin, obschon sie daran dachte, Malerin zu werden. Genauso kritisch sah sie ihre schriftstellerische Arbeit: «Die Dinge sind angetippt und nicht Fleisch und Blut», schrieb sie über ihr Theaterstück «Karl Stuart».
Unter Druck
Der Schluss liegt nahe, dass eine derart verunsicherte Persönlichkeit auch in den menschlichen Beziehungen um ihre Position zu kämpfen hat. Die Ehe mit dem Tabakwarenhändler Bepp Haindl war prekär, zumal er sie gezwungen hatte, in seinem Laden zu arbeiten, was ihr so sehr zu schaffen machte, dass sie einen Nervenzusammenbruch erlitt.
Laut Eva Pfister gab die Schriftstellerin sogar dem Druck der Nationalsozialisten nach und distanzierte sich 1943 in einem Brief von ihren eigenen früheren Arbeiten. So schrieb sie über ihren Erzählband «Ein Pfund Orangen»: «Es ist in meinen Augen ein reiner Krankheitsprozess, die Widerstandslosigkeit eines Mediums gegenüber einer Zeitentartung …» Wer sich so selbst verleugnen muss, leidet unter Angst. Fleisser bezeichnete die nationalsozialistische Zeit später als «Verlorene Jahre», Biografin Pfister wertet sie als «politisch naiv». Anerkennung bei den Nazis, sollte sie Fleisser denn gesucht haben, fand sie jedenfalls nicht. So belegt der Band «Im Wirtshaus ist heut Maskenball …» trotz der vordergründigen Unbeschwertheit ihre persönliche Tragik. Er zeigt eine empfindsame und widersprüchliche Frau, die den Herausforderungen ihrer Zeit wie so viele andere nicht gewachsen war.
Buch
Marieluise Fleisser
«Im Wirtshaus ist heut Maskenball …»
88 Seiten
(Nimbus 2014).