Unter normalen Umständen wäre der Schauspieler Simon Engeli jetzt mit seiner Familie in Saint-Triphon in der Waadt, um dort bis zum Oktober in «Karl’s kühne Gassenschau» aufzutreten. Die Pandemie hat diesem Projekt schon früh den Garaus gemacht – und dafür ein anderes entstehen lassen. «Wir wollten unbedingt spielen, und zwar vor Publikum», sagt Engeli im Gebäude der Theaterwerkstatt Gleis 5 am Bahnhof Frauenfeld. «Hier aber geht es nicht, der Zuschauerraum ist zu eng. So haben wir uns an die Anfänge erinnert, als wir nach der Ausbildung an der Scuola Dimitri kleine Sommertourneen unternommen haben.»
Ein Stück aus dem Pestjahr 1348
Herumziehen wird er zusammen mit Co-Regisseur Noce Noseda, dem Musiker Goran Kovacevic, der Puppenspielerin Rahel Wohlgensinger, und den Schauspielern Joe Fenner, Nicole Steiner und Silvana Peterelli. Sie werden draussen spielen, vor einer mobilen Besuchertribüne, in der viele Plätze frei bleiben, um die Abstände zu wahren.
Ausgesucht haben sie sich ein Stück, das wie angegossen zu dieser Zeit passt. Denn Giovanni Boccaccios «Decamerone» erzählt von zehn jungen Leuten, die im Jahr 1348 aus dem von der Pest heimgesuchten Florenz flüchten, um sich auf dem Land mit Geschichten zu unterhalten. Hundert Geschichten sind es: Sie handeln von geilen Klerikern und verführerischen Klosterschwestern, von gierigen Kaufleuten, dubiosen Politikern, betrogenen Liebhabern und glühenden Verliebten. Nirgends hebt Boccaccio den Mahnfinger. Denn er wusste, dass Menschen Menschen sind, Wein schmeckt und Sex Spass macht. Vor allem wusste er, wie man die Menschen lachen macht.
Wie nah Spott und Tiefsinn, Betrug und Wahrheit einander kommen können, das merkt man rasch. Sieben Geschichten greift die lebenslustige Theatertruppe im fliegenden Wechsel heraus, mal wird es dramatisch, mal grotesk, mal geht es temporeich zu, dann wieder kippt das Ganze in melancholische Stille. Auch ein ausgesprochen politisches Stück hat Simon Engeli ausgewählt. Rahel Wohlgensingers Tiere spielen eine wichtige Rolle, vor allem Monty, der freche Hund. Er möchte liebend gern eine besonders heisse erotische Episode erzählen, doch der «prüde Verein» will es verhindern.
Goran Kovacevics Akkordeon untermalt die Geschichten und gibt dem Ganzen Stimmung und Farbe. Witzig wird ein paar Mal auf Corona verwiesen, als Pestärzte verkleidet empfangen die Schauspieler das Publikum. Und immer wieder treten die Darsteller aus ihren Figuren heraus. Das ergibt, alles in allem, ein grosses und in keiner Weise oberflächliches Vergnügen. Denn jede Seuche stellt uns auch vor die Frage, wie wir unser Leben gestalten. Das wusste Boccaccio, das wissen wir.
Auf Schloss Hagenwil ist der Teufel zu zweit
Bildet im «Decamerone» die Seuche mehr den Hintergrund, so nimmt sie in Jeremias Gotthelfs schauerlich-gottesfürchtiger Novelle «Die schwarze Spinne» Gestalt an, wenn der Teufel persönlich auftritt und seine giftigen Spinnen ins friedliche Emmentaler Dorf schickt, weil man ihm das verlangte ungetaufte Kind verwehrt. Das Thurgauer Schloss Hagenwil bietet mit seinem Innenhof den passenden Rahmen für die von Hans Rudolf Spühler dramatisierte Novelle. Als erster Teufel steht er an diesem Probenabend auf Peter Affentrangers eben fertig gebauter Bühne. Der zweite Teufel ist mit Bigna Körner eine Frau. Regie führt Florian Rexer, der gerade eine fünfstündige Sitzung zu den Corona-Schutzmassnahmen hinter sich hat. Man könnte verzweifeln, wäre man nicht so angefressen vom Theater.
Warum die Teufel plötzlich zu zweit sind? Nun, sie haben viel zu tun, diese beiden Teufel, mehr als bei Gotthelf, obwohl die Hagenwiler «Schwarze Spinne» paradoxerweise weit menschennäher wirkt als das sprachmächtige Original. Gespielt wird denn auch auf Schweizerdeutsch und umso lebendiger, je länger der Probenabend dauert. Während es langsam dunkel wird, feiern die jungen Bauern noch einmal tüchtig und schauspielerisch sehr gekonnt, während es der weiblichen Hauptfigur Christine (Ramona Fattini) schon nicht mehr wohl bei der Sache ist. Als sie dem verführerischen Teufel dann leibhaftig begegnet, donnert es leise in der Ferne. Als wollte da jemand von oben mitspielen.
Nur Sarah Herrmann als tiefschwarze Spinne hat an diesem Abend nichts zu tun. Gelenkig turnt die Artistin, Tänzerin und Schauspielerin vor Beginn am riesigen Kreuz im Zentrum der Bühne. Sie kennt sich aus mit ihrem Tier, denn seit einigen Jahren spielt sie die Hauptrolle in den Artistenshows im Walter Zoo Gossau. Dort haben sie übrigens auch eine Kraushaar-Vogelspinne. Ein ausgesprochen friedfertiges Tier – im Gegensatz zu Gotthelfs schwarzer Spinne.
Decamerone
Premiere: Sa, 8.8., 19.00
Bernerhaus Frauenfeld
Theatertournee durch die Schweiz: www.theaterwerkstatt.ch/decamerone-tickets
Die schwarze Spinne
Premiere: Do, 6.8., 20.30 Wasserschloss Hagenwil bei Amriswil TG
www.schlossfestspiele-hagenwil.ch