Die Sinnfrage tönt einfach, ist aber tückisch. «Habe ich eine Geometrie, oder habe ich keine Geometrie?» Der Zürcher Konkrete Gottfried Honegger beschäftigte sich Zeit seines Lebens damit, und das dauert nun immerhin schon 98 Jahre. Der Filmschaffende Erich Langjahr lässt Honegger nun die Frage in seinem neuen Dokumentarfilm «Für eine schöne Welt» stellen. Für sich selbst hat Honegger wahrscheinlich die Antwort gefunden, nämlich im positiven Sinn – aber alle andern?
Wie auch immer: Langjahr präsentiert in seiner Filmdokumentation zwei führende Schweizer Gestalter. Hier der kommunikative Honegger, der «letzte Zürcher Konkrete», wie seine Etikette lautet, der seine Kunst obsessiv wie eine politische Botschaft vertritt. Da der zurückhaltende, stille Beobachter, der Obwaldner Bergler und Bildhauer Kurt Sigrist, der im ganzen Film kein Wort über sich oder sein Werk verliert – es soll für sich selbst sprechen.
Erich Langjahr setzt in seinem Film auf lange, ruhige Aufnahmen und lässt so den Zuschauer die Arbeiten dieser beiden gegensätzlichen Künstler nach und nach verstehen. Man zieht die Bilder förmlich in sich rein und hat am Schluss den Eindruck, einen neuen Zugang zu den beiden Meistern gefunden zu haben.
Honeggers klare Linie
Gottfried Honegger kam 1917 in Zürich Aussersihl zur Welt; er wuchs dort und im bündnerischen Sent auf. Honegger liess sich zum Grafiker ausbilden und stand in der frühen Nachkriegszeit unter dem Einfluss des Gestalters Johannes Itten, dem damaligen Direktor der Kunstgewerbeschule. Honegger scheint wie viele seiner Generation unter der helvetischen Enge gelitten zu haben; es zog ihn nach Frankreich, wo er einen grossen Teil seines Lebens verbrachte.
Mit seinen glasklaren und scharfen Linien wurde Honegger zu einem der führenden Vertreter der Zürcher Konkreten wie etwa Max Bill. Im Gegensatz zu Bill war Honegger jedoch stets politisch links engagiert. Er schloss sich eine Weile der SP an und gestaltete für die «Gruppe für eine Schweiz ohne Armee» (GSoA) ein Plakat. «Ich bin ein Linker, aber nicht im Sinn der Partei», sagt Gottfried Honegger heute und fügt abgeklärt bei: «Links oder rechts – heute ist alles gleich.»
Kann man so sehen oder auch nicht. Honegger hat vor allem eine künstlerische Botschaft, und diese ist ihm sehr wichtig, wie er im Film deutlich macht: «Kunst muss unseren Alltag bestimmen, denn sie regt zum Erfinden an.» Und: «Die Geometrie ist die Grundlage der Schönheit.» Wer solche Erkenntnisse zum Besten gibt, kann auf breite Zustimmung hoffen. Filmer Langjahr besuchte mit der Kamera die Vernissage einer Honegger-Ausstellung in Zürich. Da sieht man, wie sich eine ganze Schar von Verehrerinnen um den Betagten bemüht, der es sichtlich geniesst, mit seinem Stock im Mittelpunkt zu sitzen – und dazu strahlt wie ein Teenager.
Sigrists «Behausungen»
Schnitt. Filmer Langjahr entführt in die Zentralschweiz. Man sieht den Obwaldner Raumgestalter und Objektkünstler Kurt Sigrist auf dem weitläufigen Gelände der Freiformschmiede Imbach & Cie in Nebikon LU. Er beobachtet, wie eine mechanische Zange einen glühenden Stahlblock aus einem Hochofen zieht und ihn verformt. In zahlreichen Arbeitsgängen entsteht eine menschenähnliche Stahlskulptur – nach den Plänen des 72-jährigen Bildhauers. «Behausung» nennt er das markante Werk, das dereinst wie ein humanistisches Mahnmal in der Landschaft stehen wird. Sigrist sagt während der ganzen Arbeitsvorgänge nichts, nur die Facharbeiter tauschen kurze, prägnante Bemerkungen aus. Der Zuschauer spürt, hier sind Profis am Werk, künstlerische wie handwerkliche.
Die Kamera begleitet auch Kurt Sigrist an eine Vernissage, nämlich an eine Retrospektive seiner Werke in der Turbinenhalle Unteraa von Giswil OW. Hier wird der Künstler gefeiert wie ein lokaler Star mit regierungsrätlicher Ansprache und allem Brimborium. Die Vernissage-Besucher lustwandeln durch die begehbaren Skulpturen, allesamt «Behausungen in unterschiedlichen Formen», wie sie Sigrist nennt, und erkunden seine neuen Kunsträume in der Turbinenhalle. Er selbst scheint kaum präsent an dem Anlass, als ob ihm die ganze Aufmerksamkeit etwas peinlich wäre.
Gegensätze der Kunst
Sagt der Mann denn gar nichts? Eigentlich nicht, einzig die «Tagesschau» konnte ihm ein paar Worte zur gleichen Ausstellung entlocken: «Das Unvermögen eines Werks führt zum nächsten, um es besser zu machen, und weiter zum nächsten – das geht so bis zum Ende.» Da spricht ein Zweifler, ein Zurückhaltender, einer, der an das Perfekte glaubt, aber weiss, dass er es niemals finden kann.
Wie kommt Erich Langjahr dazu, zwei derart gegensätzliche Künstler im gleichen Film zu porträtieren? «So unterschiedlich ihre Persönlichkeiten sind, so gibt es für mich etwas, was die beiden vereint. Es ist das Ausdrücken mit dem Bild – die Sprache des Bildes», sagt Langjahr.
Gottfried Honegger
Der 1917 geborene Zürcher Konkrete arbeitete als Lehrer und Grafiker. Erst mit 39 Jahren wagte er nach einem Aufenthalt in New York, sich ganz auf seine Kunst zu konzentrieren. 1960 zog Honegger nach Paris, wo er heimisch wurde. Der Künstler geniesst internationale Anerkennung und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, vor allem in Frankreich. So ernannte ihn der damalige Kulturminister Jack Lang 1985 zum «Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettre». Das Centre Pompidou ehrte ihn letztes Jahr mit einer grossen Ausstellung. Heute lebt Honegger wieder in Zürich.
Kurt Sigrist
Der 1943 in Sachseln OW geborene Bildhauer besuchte die Kunstgewerbeschule in Luzern und die Hamburger Hochschule für Bildende Künste. 1977 fand er erstmals internationale Aufmerksamkeit, als er mit Markus Raetz und Samuel Buri die Schweiz an der Biennale von São Paulo vertrat. 1993 erhielt Sigrist den Innerschweizer Kulturpreis. Einen Rückschlag erlebte er vor zehn Jahren, als ein Unwetter sein Atelier überflutete und zahlreiche Kunstwerke zerstörte. Seine Skulpturen sind Marksteine in der Schweizer Landschaft, sei es an der Gotthard-Autobahn oder in Cham ZG am See.
Für eine schöne Welt
Regie: Erich Langjahr
Ab Do, 14.1., im Kino