kulturtipp: Im Vergleich zu anderen Schweizer Städten gilt die etablierte Berner Kulturszene als ein eher geschlossener Kreis. Wie sind Sie hier angekommen im letzten Sommer?
Nina Zimmer: Ich bin ab dem ersten Tag mit offenen Armen empfangen worden – von Berner Künstlern über die Sammler und Gönner, die dem Museum nahestehen, bis zu den politischen Vertretern und Vertreterinnen von Kanton und Stadt Bern. Es sind ja alle daran interessiert, wie sich die beiden Häuser entwickeln.
Sie leiten zwei unterschiedliche Häuser: ein weltberühmtes und eines, das einen thematischen Bezug zu Paul Klee hat.
Da muss ich Ihnen widersprechen: Meines Erachtens ist auch das Zentrum Paul Klee international sehr bekannt. Die unterschiedlichen Publika der beiden Häuser können wir verbinden.
Sie führen ein Kunstmuseum mit einer grossen Sammlung und ein Museum mit einem Themenbezug. Wenn Sie diese beiden Institutionen zusammenführen, tönt das ziemlich spannungsgeladen.
Spannungsgeladen ja, aber in einem positiven Sinn. Denn die beiden Häuser haben unterschiedliche Schwerpunkte und künstlerische Stärken. Das lädt dazu ein, ambitionierte Projekte umzusetzen.
Eine konkrete Frage sei hier erlaubt: Wie bringen Sie diese beiden Institutionen auf einen erkennbaren gemeinsamen Nenner?
Ich wünsche mir nicht nur grosse Gemeinschaftsprojekte wie die Ausstellung «Die Revolution ist tot. Lang lebe die Revolution!» über Russland in diesem Frühjahr in beiden Häusern. Das Kunstmuseum und das Zentrum Paul Klee sollen sich ergänzende Ausstellungen zeigen. Gemeinschaftsprojekte dürfen zu keiner jährlichen Pflichtübung werden.
Es gibt so viel Ausstellungsfläche in der Schweiz, dass sich einzelne Städte wie Winterthur diese nicht mehr leisten können. Darum kommt die Sammlung Hahnloser der Winterthurer Villa Flora nun nach Bern. Müssen auch Sie eines Tages mit Einschränkungen rechnen angesichts der wachsenden Konkurrenz in Basel und Zürich?
Das sehe ich nicht so. Es gibt hier ein grosses Interesse an Ausstellungen. Bern verfügt über tolle Sammlungsbestände. Wir haben so viele Ideen für Projekte, dass ich diese in meiner Lebenszeit kaum je alle umsetzen kann. Es gibt keine Grenzen des Wachstums, was intelligente künstlerische Fragestellungen angeht.Die beiden Berner Häuser wurden ja nicht zum künstlerischen Vergnügen zusammengelegt, sondern um Geld zu sparen.
Die Idee war, Synergien zu erzeugen.
Und jetzt stehen Sie unter einem enormen Spardruck?
Nein, man sagte bei der Fusion vor 18 Monaten, dass alle Synergien, die gewonnen werden können, der Kunst zur Verfügung stehen sollen. Das läuft ja jetzt langsam an.
Sicher, wer spricht bei einer Fusion schon von künstlerischen Einschränkungen?
Nein, das stimmt. Alles eingesparte Geld kommt der Kunst und künstlerischen Projekten zugute.
Sie haben Baustellen in Bern. Zunächst müssen Sie die Hahnloser-Sammlung der Winterthurer Villa Flora in das Kunstmuseum integrieren.
Das ist keine Baustelle, sondern ein wunderschönes Projekt. Die Hahnloser-Sammlung kommt in den Stettler-Bau; dank der grosszügigen vertraglichen Regelung haben wir viele Freiheiten.
Dann haben Sie die Sammlung Cornelius Gurlitt mit Beständen, deren Herkunft möglicherweise heikel ist. Haben Sie da schlaflose Nächte?
Die Vorbereitungszeit dauert ja schon sehr lange. Ich freue mich, wenn die Sammlung konkret hier ankommt. Das ist ein spannendes, herausforderndes Thema. Ich bin selbst Deutsche, habe da vielleicht einen besonderen Bezug zur Fragestellung. Und ich habe mich sehr lange mit Provenienzthemen beschäftigt, auch im Kunstmuseum Basel.
In der Sammlung Gurlitt könnten ja Bomben verborgen sein, auf die Sie nicht vorbereitet sind.
Dinge, auf die man nicht vorbereitet ist, sind ja das Spannendste, was es gibt. Man muss im Kopf immer so flexibel sein, dass man mit Unvorhergesehenem umgehen kann.
Jetzt reden Sie schön.
Aber bitte, was meinen Sie mit Bombe?
Dass plötzlich ein Werk auftaucht, das nicht rechtmässig in diese Sammlung gekommen ist, sondern Raubkunst ist.
Die Herkunft der Werke ist so weit erforscht, wenn wir die Sammlung übernehmen. Wir haben einen Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland. Darin ist festgehalten, dass alles, was Raubkunst ist oder im Verdacht steht, Raubkunst zu sein, dort bleibt und restituiert wird. Das ist völlig transparent und liegt in der Verantwortung der Bundesrepublik. Da gibt es kein Bombenpotenzial für Bern.
Gurlitt ist also nur problemlose Bereicherung des Hauses.
Genau, aber eine, mit der wir sehr verantwortungsvoll umgehen müssen. Das ist eine meiner Aufgaben. Da unterstützt mich Matthias Frehner, Direktor Sammlungen, der das Dossier genau kennt.
Ausstellung:
Revolutionäre Kunst
Höhepunkt des Berner Ausstellungsjahres 2017 ist die Schau «Die Revolution ist tot. Lang lebe die Revolution!» über die russische Revolution vor 100 Jahren. Das Kunstmuseum folgt den Spuren des sich durchsetzenden «Sozialistischen Realismus» und dokumentiert dessen Wandlungen bis in die Gegenwartskunst. Mit der Machtübernahme der Bolschewisten war ein realistischer Malstil für die propagandistische Darstellung sozialistischer Gesellschaftsentwürfe angesagt. Das Zentrum Paul Klee setzt sich mit dem revolutionären bildnerischen Geist der russischen Avantgarde auseinander und mit den Auswirkungen auf die moderne Kunst im 20. Jahrhundert.
Ausstellung
Die Revolution ist tot.
Lang lebe die Revolution!
Do, 13.4.–So, 9.7.
Kunstmuseum Bern
Zentrum Paul Klee Bern