In einem schmalen Krankenbett liegt ein junger Mann am Tropf – regungslos. Eine Frau in weissem Schleier sitzt daneben, zitiert aus dem Koran. Sie scheint nicht zu bemerken, dass sich der eben noch starre Patient aus dem Bett erhebt, seine Infusion vom Arm und das Laken von der Matratze reisst. «Wohin bin ich gegangen? Warum haben sie mich blutig im Auto gefunden? Ich kann mich nicht erinnern», fragt er von der Bühne herab.
So beginnt das Theaterstück «While I was waiting», das der syrische Regisseur Omar Abusaada mit seiner Schauspielgruppe am Zürcher Theaterspektakel und am Theaterfestival Basel aufführen wird. Taim, so heisst der junge Mann auf der Bühne, wurde in Damaskus zusammengeschlagen und liegt im Koma. Wer das getan hat und warum, bleibt unklar – bis hierher basiert die Geschichte auf einer realen Begebenheit. Im Verlauf des Stücks finden sich Verwandte und Freunde am Bett des Komatösen ein. Ihre gesamte Welt spielt sich in dem Krankenzimmer ab: Wutausbrüche, Verzweiflung, aber auch Liebesszenen und gesellige Abende ereignen sich am Bett von Taim.
Währenddessen hat dieser sich aus dem Koma über die Dächer von Damaskus geträumt und beobachtet die Szenerie im Krankenzimmer von einer darüber liegenden Bühne aus. Rappend und tanzend erinnert er sich an seine Filme, mit denen er die hoffnungsvolle Stimmung der ersten Aufstände gegen das Assad-Regime im Frühjahr 2011 dokumentieren wollte. Doch fünf Jahre danach sind die Jugendlichen, die für die Freiheit ihr Leben riskierten, durch Krieg und Terror ruhiggestellt. Sie haben keinen Einfluss auf ihre Zukunft, keine sicheren Perspektiven. Die junge syrische Generation liegt im Koma, wie Taim.
Namenlose Masse
Omar Abusaada und der international renommierte Autor des Stücks, Mohammad al Attar, sehen das Koma als einen Zustand, in dem sich die Realität mit Träumen und Hoffnungen verbinden kann – das Koma als einziger Ausweg in die Freiheit. Auf der Bühne werben sie um Verständnis für Syrien und die Veränderungen in ihrem Land. «Das Theater ist eine einzigartige Möglichkeit, direkt mit den Zuschauern in Kontakt zu treten. Unser Ziel ist es, dass jeder nach der Vorstellung mit einer persönlichen Erfahrung nach Hause geht – und vielleicht ein bisschen mehr versteht», sagt Omar Abusaada, der während des Skype-Interviews mit dem kulturtipp in Damaskus weilt.
«While I was waiting» erzählt vom täglichen Leben der Menschen in der syrischen Hauptstadt: «In den europäischen Medien hört man vom Krieg in Syrien und den Grausamkeiten des IS, die Bilder zeigen Tausende von Flüchtlingen wie eine grosse namenlose Masse, doch die einzelnen Menschen dahinter sieht man nicht», meint Abusaada. Er will den syrischen Frauen und Männern mit Taim und seiner Familie einen Namen geben. Neben eindrücklichem Schauspiel setzt der Regisseur dazu Filmsequenzen und Musik vom Exilsyrer Samer Saem Eldahr ein. Abusaada stellt keine explizite politische Botschaft in den Mittelpunkt des Stücks; es geht ihm vielmehr um die menschlichen Einzelschicksale. Dennoch kann er das Stück nicht in seiner Heimat aufführen. «Um in Damaskus Theater machen zu können, müsste ich auf jede noch so subtile Kritik am Regime verzichten. Das will ich nicht, ich will frei sein in meiner Arbeit und zeigen, was wirklich passiert in Syrien.»
Leben in Damaskus
Fast alle Schauspieler, mit denen Abusaada arbeitet, leben im Exil. Er selbst hat sich dazu entschieden, in Damaskus zu bleiben. «Natürlich habe ich ein kompliziertes Leben, aber Damaskus ist meine Heimat, ich liebe die Stadt und habe viele Freunde hier.» In den meisten Teilen der Stadt fühle er sich sicher: «Die Leute gehen ins Restaurant oder ins Kino und versuchen, sich ein Stück Normalität zu bewahren.»
Diktatur und Krieg zum Trotz bemühen sich auch die Figuren in «While I was waiting», ein normales Leben zu führen. Ihre Herzen sind voller Hoffnung und Liebe für das Leben – und für Abusaada besteht darin «letztlich der Sinn der Existenz».
Theater- und Tanz-Highlights
«While I was waiting»
Omar Abusaada und Mohammad al Attar
Do, 18.8.–Sa, 20.8. jeweils 19.00
Zürcher Theaterspektakel: Landiwiese Zürich (Nord)
Theaterfestival Basel
Mi/Do, 31.8./1.9., jeweils 19.00 Theater Basel
www.theaterfestival.ch
Wachen in Westafrika
Keiner findet Schlaf in dieser Nacht in der Hauptstadt Burkina Fasos. Das Land steht kurz vor einem Umbruch – nach 27 Jahren unter dem korrupten Regime von Präsident Compaoré wacht das Land, es hofft auf Neubeginn. Für den Tänzer und Choreografen Serge Aimé Coulibaly ist Kunst immer auch politisch. Gemeinsam mit seiner Kompanie Faso Danse Théâtre bringt er mit seinem Tanzstück «Nuit blanche à Ouagadougou» die Stimmung in seinem Heimatland kurz vor dem Putsch im Jahr 2014 auf die Bühne.
«Nuit blanche à Ouagadougou»
Serge Aimé Coulibaly & Faso Danse Théâtre
Do, 18.8.–Sa, 20.8., jew. 21.00
Zürcher Theaterspektakel: Landiwiese (Seebühne)
Tanz mit dem Absurden
Eine Dame mit ausladenden Rundungen giesst ihre Topfpflanzen. So weit, so normal. Doch warum trägt sie grosse Mausohren auf dem Kopf, läuft grazil trippelnd immer wieder vor die Wände und verdeckt sich hinter einem überdimensionierten Fächer? Der griechische Performance-Künstler und Pina-Bausch-Stipendiat Euripides Laskaridis tanzt auf der Schwelle zwischen dem schmalen Grat lächerlicher Absurdität und tiefer Tragik.
«Relic»
Euripides Laskaridis
Mo/Di 29.8./30.8., jeweils 21.00
Zürcher Theaterspektakel: Landiwiese Zürich (Saal)
Mythos und Realität an Europas Rändern
Im dritten Teil seiner EuropaTrilogie befasst sich der renommierte Schweizer Theaterregisseur Milo Rau mit Heimat und Flucht. Bereits in den zwei vorangehenden Stücken ging es um Themen wie Entwurzelung und innereuropäische Migration. Im neuesten Stück «Empire», das am Theaterspektakel uraufgeführt wird, berichten ein Grieche, eine Rumänin, ein Kurde und ein Syrer von den Rändern Europas, seinem Mythos und der grausamen Realität an seinen Grenzen.
«Empire»
Milo Rau
Do, 1.9.–Sa, 3.9., jeweils 19.00 So, 4.9., 17.00
Zürcher Theaterspektakel: Werft Zürich
Zürcher Theaterspektakel
Do, 18.8.–So, 4.9.
An der Abendkasse sind für alle Vorstellungen (auch ausverkaufte) noch Karten erhältlich.
www.theaterspektakel.ch