«Zürcher Festspiele» tönte gut – und der 1991 angetretene Opernhausdirektor Alexander Pereira schmückte die Vision in seiner berüchtigten Jubelrhetorik so begeistert aus, dass die Stadt zur Festspielgründung 1996 sogar zusätzliche Subventionen sprach. Welches inhaltliche Ziel die Festspiele haben sollten, hat in Zürich kaum jemand interessiert. Gewiss, man genoss ein Gastspiel des Hamburger Thalia-Theaters, man applaudierte den Stars im Opernhaus, nahm gerne am Eröffnungsfest in der Gessnerallee teil, ging sogar zum Ball in den Hauptbahnhof. Mit Festspielen, die eine Stadt durchdringen, hatte dieser punktuelle Zauber aber wenig zu tun. Nicht einmal Übertreibungskünstler Pereira wäre es in den Sinn gekommen, die «Festspielstadt Zürich» in einem Atemzug mit Salzburg, Verona, Bayreuth, Luzern oder Glyndebourne zu nennen.
Zürich ist keine Provinzstadt wie diese Orte. Hier übertrumpfen sich von September bis Mitte Juni jede Woche zwei Dutzend kulturelle Veranstaltungen. Der Kulturmensch ist froh, wenn im Juni die Theater ihre Türen schliessen und er ein paar Wochen später in Ruhe in eine der genannten Festspielstädte verreisen darf. Dazwischen interessieren selbst den Opernfan Fussballturniere am TV mehr als Hohe Cs im Opernhaus.
Der ehemalige Intendant und Kulturhansdampf in allen Gassen wollte nicht bloss die Zürcher Juni-Festwochen reanimieren, sondern daraus gleich «Festspiele» machen. Die Festwochen waren einst dazu da, internationale Stars für die eine oder andere Gala ins Opernhaus einzuladen. Unter Pereira waren Stars jedoch zum Alltag geworden. Deshalb musste an den Festspielen noch etwas mehr her. Vor allem bei den Eintrittspreisen gab es Luft nach oben.
Lustige Geschichten
Gleich zwei Opernpremieren passten anfänglich in die vierwöchigen Festspiele – dafür gab es Sponsorengeld, an dem Pereiras Opernhaus prächtig mitverdiente. Wahrscheinlich reisten für die Festspielabende tatsächlich ein paar Gäste an, feierten Cecilia Bartoli, Mirella Freni & Co., liessen viel Geld in der Stadt. Doch deswegen die Umwegrentabilität zu betonen, also jenes Geld hervorzuheben, das die Gäste neben der Opernkarte in der Stadt liessen, war vermessen.
Die Protagonisten erzählen noch heute lustige Geschichten, wie die Festspiel-«Dramaturgie»-Sitzungen vonstattengingen. «Schauspiel?», so Pereira in der Runde. «Fragt doch das Burgtheater um ein Gastspiel an!»
Für Gross und Klein
Leisem Spott ob solcher Beliebigkeit zum Trotz: Ohne Pereira hätte es die Zürcher Festspiele nie gegeben. Ohne ihn wären die Zusatzgeldtöpfchen nicht entstanden, aus denen sich die diversen Zürcher Kulturinstitute bedienten, um ihre Saison etwas zu verlängern. Allen voran Pereira selbst. Von Zusammenhalt, übergeordneten dramaturgischen Verbindungen war aber wenig zu spüren.
Es war bezeichnend, dass sich die Zürcher Festspiele 2012, im Abschiedsjahr von Pereira, die Sinnfrage stellten. Aus den Diskussionen ging man gestärkt hervor. Die Festspiele sollten nicht nur eine Verlängerung der Saison sein, es galt, das Profil zu schärfen. Klar war, dass die Festspiele in die Stadt getragen werden müssten. Eine Koordinationsstelle sollten sie erhalten, unter der die einzelnen Institutionen übergreifende, von einer gemeinsamen dramaturgischen Idee geleitete Projekte verwirklichen würden. Erste Ansätze waren im Programm 2012 zu erkennen.
Die vier «Grossen» – Opernhaus, Schauspielhaus, Tonhalle-Orchester und Kunsthaus Zürich – blieben federführend, das Museum Rietberg, das Theaterhaus Gessnerallee, die Theater Neumarkt und Rigiblick nutzten aber das Label «Festspiele» immer wieder geschickt, um auf sich aufmerksam zu machen.
Schwindender Glanz
Dank der künstlerischen Leitung von Tonhalle-Intendant Elmar Weingarten liess sich ein roter Faden erkennen. Die Tonhalle wurde gar federführend, besetzte die Schwerpunktthemen bestens, variierte klug, ob sie nun «Shakespeare», «Prometheus» oder «Richard Wagner» hiessen. Schön war, dass Weingarten mit Ruhe, Klarheit und Sachverstand die Festspiele gestaltete. Nur hatte man niemanden, der das Ganze à la Pereira an die grosse Glocke hängen konnte. Selbst der Festspielpreis, stolze 50 000 Franken, bewegte wenig – es waren die üblichen Verdächtigen, die ausgezeichnet wurden: Heinz Holliger, Luc Bondy, Heinz Spoerli und Pipilotti Rist.
Als Ende März 2016 bekannt wurde, dass die Festspiele – ab Herbst mit Alexander Keil als Geschäftsführer – in Zukunft nur noch alle zwei Jahre stattfinden würden, war das den zwei grossen Zürcher Zeitungen gerademal eine Randspalte wert. Es wurde beteuert, dass das nicht der Anfang vom Ende sei.
Zürcher Festspiele Fr, 3.6.–So, 26.6.
Die Festspiele Zürich starten am Freitag, 3. Juni, mit der Francis-Picabia-Retrospektive im Kunsthaus. Schwerpunktthema ist die Dada-Bewegung. In über 150 Veranstaltungen, Ausstellungen, Theatern, Opern, Tanz, Konzerten, Gesprächen und vielem mehr soll der Facettenreichtum der Dada-Bewegung widerspiegelt werden.
Infos: www.festspiele-zuerich.ch