Zürcher Festspiele Anton Tschechow in Manhattan
Bei den Zürcher Festspielen stehen einige Theater-Uraufführungen an. Etwa Milan Peschels «Manhattan Möwe», eine Kombination aus Anton Tschechow und Woody Allen.
Inhalt
Kulturtipp 13/2011
Letzte Aktualisierung:
05.03.2013
Babina Cathomen
Schon von Weitem ist Gebrüll zu hören: Das Neumarkt-Ensemble mit den drei Gastschauspielern Magne Havard Brekke, Jürg Hassler und Marie-Lou Sellem steckt mitten in den Proben zu «Manhattan Möwe». Konstantin Treplev und seine Mutter aus Anton Tschechows «Die Möwe» sind in Streit geraten, nachdem sein selbst geschriebenes Theaterstück über die Provinzbühne gegangen ist und sie ihren Sohn beleidigt hat. Der Streit eskaliert, Treplev...
Schon von Weitem ist Gebrüll zu hören: Das Neumarkt-Ensemble mit den drei Gastschauspielern Magne Havard Brekke, Jürg Hassler und Marie-Lou Sellem steckt mitten in den Proben zu «Manhattan Möwe». Konstantin Treplev und seine Mutter aus Anton Tschechows «Die Möwe» sind in Streit geraten, nachdem sein selbst geschriebenes Theaterstück über die Provinzbühne gegangen ist und sie ihren Sohn beleidigt hat. Der Streit eskaliert, Treplev stürmt davon, die Gäste bleiben ratlos zurück. Doch in welcher Bühnensituation befinden wir uns überhaupt? Eine moderne Küche und ein Fernseher in der russsischen Provinz des 19. Jahrhunderts? Das Ambiente auf der Neumarkt-Bühne entspricht eher einem Künstlerloft. Der deutsche Regisseur Milan Peschel hat für Tschechows Klassiker von 1895 einen modernen Bezugspunkt gewählt: Woody Allens Film «Husbands and Wives» von 1992, der von der Beziehungskrise zweier Ehepaare handelt.
Eine abwegige Kombination? Die deutsche Schauspielerin Marie-Lou Sellem (Tom Tykwers «Winterschläfer» u.a.), die Tschechows Gutsverwalterin Polina und Woody Allens Sally spielt, beschreibt die Berührungspunkte beider Stoffe: Die in Tschechows Stück geführte Kunstdebatte etwa dekliniere sich in Allens New York der 90er-Jahre weiter. «Und die Grundprobleme des Menschseins sind, unabhängig von Zeit oder Gesellschaft, dieselben», fügt sie an. «Tschechows Figuren wollen aus der Provinz raus in die Stadt – Allens Protagonisten sind in der Stadt und trotzdem provinziell. Dem Leben entkommt man nicht, egal, wo man lebt.» Milan Peschel versuche auf der Basis von «Husbands and Wives», den Weg zu Tschechow zurückzulegen, indem «Die Möwe» auch zu einer Art literarischem Fluchtpunkt der allenschen Figuren werden kann. «Die Begegnung der Figuren offenbart sich als ein zeitungebundener Reigen.»
Stoff zum Debattieren
Regisseur Peschel verflicht die beiden Stoffe, switcht hin und her, lässt die Protagonisten in der Kunstwerkstatt auf der Bühne aufeinandertreffen und debattieren. «Durch die überraschenden Berührungspunkte werden die einzelnen Stoffe noch breiter aufgefächert. Im einen Stoff ist das Echo des andern enthalten», ist Sellem überzeugt.
Auf der Bühne wird derweil heftig diskutiert, ob sich David Bowies Song «Moonage Daydream» in dieser Szene eignet – als Sinnbild für grosse Zeiten, die vorbei sind. Die beiden jungen Protagonisten erheben sich vom Sofa, humpeln wie alte Männer davon – eine groteske Szene. «Die Verzweiflung treibt komische Stilblüten», meint Sellem. Woody Allen bezeichnete Tschechows Stücke einmal als «Komödien der Verzweiflung». Auch seine eigenen Filme beschäftigen sich mit den tragisch-grotesken Seiten des Lebens. Manhattan und die russische Provinz liegen gar nicht so weit auseinander.