kulturtipp: «Ich stehe mitten in meiner Karriere», haben Sie, Maestro Mehta, im Oktober bei der Verleihung des «Echo»-Musikpreises gesagt. Wie fest zwinkerten Sie dabei mit dem Auge?
Zubin Mehta: Gar nicht, die Aussage stimmt! Es gibt so viele grosse Werke, die ich noch nie dirigiert habe: Wagners «Parsifal» etwa. Gott sei dank kommt der «Rosenkavalier» von Richard Strauss im Mai dran – zum ersten Mal! Meine Neugier hat kein Ende.
Sie denken also nicht ans Karriereende?
Überhaupt nicht. Aber ich möchte nicht über das Älterwerden sprechen. Ich bin alterslos! Mein 75. Geburtstag wurde gefeiert. Aber toll daran war, dass die Leute deswegen in Florenz wie in Israel Geld für verschiedene gute Zwecke sammelten.
Ihr Alter erlaubt es uns zurückzuschauen. Wie haben sich die grossen Orchester in dieser Zeit verändert?
Ich habe in meinem Leben fünf Orchester als Chefdirigent geleitet, und jedes hat sich mit mir entwickelt. Die Orchester in Los Angeles und New York waren bereits sehr gut, als ich ankam, sie wurden in meiner Zeit aber wesentlich besser – oder nein, sagen wir eher: Sie wurden reifer.
Stimmt es denn wirklich, dass die Orchester allgemein immer besser werden?
Technisch auf jeden Fall. Es gab in den 50er-Jahren Werke, die für gewisse Orchester zu schwer waren, in den 80ern war das nicht mehr so. Beethovens Violinkonzert galt einst als unspielbar, heute spielt es jeder Student. Ich rede nun aber ganz klar von der Technik. Aber viel wichtiger war mir, am Klang der Orchester zu arbeiten. Darum ist der Ausdruck «besser werden» falsch. Da ich in Wien studiert hatte, meine Repertoire-Schwerpunkte die beiden Wiener Schulen waren, hatte ich eine ganz genaue Klangvorstellung dieser Mu-
sik. Ich wollte den Amerika-
nern meinen zentraleuropäischen Klang beibringen.
Wie gingen Sie vor?
Ich brachte neue Musiker, die in mein Konzept passten, ins Orchester. Ich habe in meinen 16 Jahren in Los Angeles 86 Musiker engagiert; in den 13 Jahren in New York 42 Musiker. Jeder neue Musiker war ein Prunkstück. Wir führten auch deutsche Trompeten und die typischen Wiener Klarinetten ein – und dann haben wir so lange geprobt, bis meine Klangvorstellung Wirklichkeit wurde. Die Musiker wussten, wonach ich strebte. Ich spielte ihnen im Dirigentenzimmer auch Schallplatten der Wiener Philharmoniker vor, damit ihnen noch klarer wurde, was in meinem Kopf war.
Sie taten viel, es wirkt nach. Heute erhalten Sie Ehrungen und Preise wie kaum ein anderer. Die Orchester lieben Sie! Wissen Sie, warum?
Das hat verschiedene Gründe. Am ersten Tag in Los Angeles sagte ich: «Ihr habt viel mehr Erfahrung als ich. Ihr habt die Siebte von Beethoven mit 15 verschiedenen Dirigenten gespielt, wenn Ihr Vorschläge habt, bin ich immer bereit, darüber zu diskutieren.» Da sassen Musiker mit einer ungeheuren Werkkenntnis und Erfahrung. Mein erster Fagottist hatte in Berlin noch mit Arthur Nikisch musiziert. Ich war bei den Solisten und Konzertmeistern auch oft zu Hause, kannte deren Familien. Ich war jung, aber ich war der Boss, musste niemanden um Erlaubnis fragen. Als uns eine reiche Frau 500 000 Dollar – damals eine ungeheuerliche Summe – vererbte, veranlasste ich, Instrumente zu kaufen. Zusammen mit meinem Konzertmeister erwarb ich einen Schatz von Streichinstrumenten. In fünf Jahren investierten wir eine halbe Million – diese Instrumente sind mittlerweile 30 Millionen wert. Heute kostet eine Guadagnini-Geige 500 000 bis 800 000 Dollar, damals kaufte ich sie für 15 000 Dollar.
Dirigentenkollege Claudio Abbado sagte einst über die Zeit in Wien, als sie gemeinsam bei Hans Swarowsky studierten: «Zubin war damals schon fertig.»
Ach … Nein, ich bin bis heute nicht fertig.
Ihr Engagement in der Studienzeit war enorm: Klavier, Kontrabass und Komposition haben sie studiert – und sangen gar
im Chor des Singvereins mit!
… und ich spielte in den Orchestern Kontrabass und besuchte so viele Proben wie möglich! Aber all das tat ich nur, um die grossen Dirigenten zu beobachten: Was macht einer auf dem Podium, was macht er nicht, wie kommt er weiter?
Sie taten alles, um selbst auch auf dieses Podium zu kommen!
Ja, das stimmt. Ich wollte vom ersten Tag an dorthin. Ich bin in Bombay (heute Mumbai) mit dem Orchester meines Vaters, der Geiger und Dirigent war, aufgewachsen, und dieses Instrument «Orchester» wollte ich spielen. Dafür tat ich alles.
In Kürze kommen Sie mit dem Orchester aus Florenz auf eine Schweizer Tournee. Sie sind dem Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino treu, obwohl es dort viele Probleme gibt: Geldprobleme und daraus resultierend künstlerische …
Bis jetzt haben wir künstlerisch keine Abstriche gemacht. Die Gehälter müssen gekürzt werden, aber ich hoffe, nur für kurze Zeit. Ich habe allerdings Angst, dass gute italienische Musiker ins Ausland abwandern. Noch gibt es in diesem Orchester kein künstlerisches Loch und keine einzige Stimmenkategorie, die abfällt.
Haben Sie in Florenz eine ähnliche Rolle wie Daniel Barenboim in Berlin, der sein Orchester und seine Oper ebenfalls mit starker Hand schützt?
Ich versuche es. Wir haben unseren Höhepunkt dieses Jahr erreicht, als wir in St. Petersburg auftraten: Ich dachte, ich dirigiere eines der besten Orchester der Welt.
In Zukunft wird eine andere Stadt wieder präsenter. Sie haben Pläne mit Alexander Pereira, dem neuen Intendanten der Salzburger Festspiele: Erst gibt es Konzerte, 2014 dirigieren Sie den «Rosenkavalier». Eine Genugtuung?
Ja, ich habe in Salzburg 1962 erstmals dirigiert, das haben die Vorgänger von Pereira vergessen. Aber ich habe mich nicht beschwert, man muss Geduld haben.
War es hart für Sie zu sehen, wer da in den 90er-Jahren dirigierte?
Nein, nein, das waren alles gute Leute. Aber ab und zu dachte ich: «Das hätte ich wohl auch gekonnt.» (lächelt)
[Buch]
Zubin Mehta
Die Partitur meines Lebens.
Erinnerungen
288 Seiten
(Droemer 2006).
[/Buch]