Sie machen es dem Lesepublikum nicht leicht. Nach ihren medial bejubelten und erfolgreichen Novellen legen die beiden Auslandschweizer Zora del Buono und Jonas Lüscher kantige Kurzromane nach. Die 54-jährige Zürcherin mit Wohnsitz Berlin hatte 2015 mit «Gotthard» reihum entzückt. Ihr sprachlich kunstvolles Capriccio über ein Geflecht skurriler Figuren an Neat-Baustelle und Gotthardsüdrampe las sich mit grossem Vergnügen. Originell kam auch die Satire «Frühling der Barbaren» von Jonas Lüscher (40) daher. Der ebenfalls in Zürich geborene und heute in München lebende Autor schickte darin eine Gruppe junger Börsenbroker buchstäblich in die Wüste.
Lüscher überlädt – del Buono spielt
Lüschers literarischer Zweitling heisst «Kraft» und benennt damit nicht nur den Protagonisten, sondern auch die anstehende Leseleistung, die zum veritablen Kraftakt wird. Anders als im süffig erzählten Vorgänger, kämpft man sich hier durch sperrig verzahnte Satzkonstrukte. Der Tübinger Rhetorikprofessor Richard Kraft ist akademisch ausgebrannt, familientechnisch frustriert und ökonomisch gescheitert. Da lockt die Teilnahme an einem philosophischen Wettstreit: Für die beste Beantwortung der Theodizee-Frage, warum alles, was ist, gut ist und doch verbesserungswürdig, lässt ein Internet-Magnat aus dem Silicon Valley eine Million Dollar springen. Krafts Denk-Recherche am Stanford-Campus nahe San Franzisco spickt Jonas Lüscher mit biografischen Erinnerungsreisen, die zur existenziellen Sinnsuche werden. Doch Protagonist und Autor verrennen sich im philosophischen Gestrüpp. Zudem überlädt Lüscher seinen Roman über Richard Krafts ausweglose Midlife-Crisis mit historischem und soziologischem Ballast.
Da geht Zora del Buono ganz anders ans Werk. Zwar durchlebt auch ihre Hauptfigur Vita Ostan eine Lebenskrise auf einem US-Campus. Doch die deutsche Dozentin, die 2013 für eine Sommerakademie in Neuengland gastiert, strotzt vor geradezu körperlicher Lebendigkeit und verliebt sich prompt in ihren Studenten Zev. Dieser lässt sich vom NSA-Skandal und Edward Snowdens Enthüllungen radikal politisieren, was Vita – Anfang 50 und in retropubertärer Verliebtheit – fasziniert.
Auch Zora del Buono nimmt viele Themen auf, strukturiert sie aber in klarer Kausalität. Die Campus-Liebelei droht jederzeit entdeckt zu werden, während der eigentliche Skandal vom «schützenden» Staat ausgeht, der ein Klima der Angst schafft. Das Geschehen entwickelt sich hochdramatisch und mündet in einen überraschenden Showdown. Zora del Buono erzählt keck in wechselnden Sprachfärbungen und filmisch szenenhaft, was zur Sprunghaftigkeit ihrer prickelnden Sommergeschichte passt. Die Autorin spielt mit Sprache, statt sie zu verkünsteln. Und sie weiss, was in Romanen mit möglicher autobiografischer Implikation niemals fehlen darf – die Selbstironie.
Lesung
Mi, 12.4., 19.45 Literaturhaus Zentralschweiz Stans
Buch
Zora del Buono
«Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt»
174 Seiten
(C.H. Beck 2016)
Lesung
Sa, 1.4., 18.00
Stadthaus St. Gallen (Literaturtage Wortlaut)
Buch
Jonas Lüscher
«Kraft»
240 Seiten
(C.H. Beck 2017)