kulturtipp: Alexander Pereira, Ihre Herausforderung ist es, der Opernwelt zu zeigen, dass die Scala nicht nur das berühmteste und das schönste, sondern auch wieder das beste Opernhaus der Welt ist.
Alexander Pereira: Ja, alles, was wir tun, wird an der Qualität gemessen. Erreichen wir sie?
Das frage ich Sie!
Jedes Kunstwerk hat eine in ihm liegende Energie. Und wenn ich ein Stück – was mir oft genug im Leben passiert ist – nicht wirklich gut aufführe, ist seine Energie nicht frei geworden. Es muss nicht alles perfekt sein, aber die Energie muss freigesetzt werden, dann haben wir unser Ziel erreicht.
Haben Sie keine Angst vor diesem Riesenhaus und seiner Tradition?
In der ersten Stunde, als man mich gewählt hatte, dachte ich: Endlich, das erste Mal in meinem Leben kann ich für eine Stadt mit drei Millionen Einwohnern arbeiten! Zur Angst: Zeigen die Künstler Angst, darf ich selber keine haben. Das habe ich zu demonstrieren versucht, indem ich in meiner ersten Saison als erste von mir selbst geplante Opernpremiere «Aida» auf dem Spielplan hatte. Und ich habe auch gleich noch die langjährige Inszenierung von Franco Zeffirelli gegen eine neue von Peter Stein ausgetauscht. Das hat etwas mit Selbstmord zu tun.
Eine der drei berühmtesten Opern Verdis ansetzen und Italiens Regie-Säulenheiligen absetzen: Da kann man nur verlieren. Sie gewannen aber, jedenfalls das Premierenpublikum. Sind Sie mit dem Alter furchtlos geworden?
Nein, aber ich weiss, dass die ängstlichen Menschen die mutigsten sind, wenn sie es schaffen, ihre Angst in positive Energie umzuwandeln.
Apropos Angst: Sie beschworen persönlich die Scala-Stehplatzbesucher: «Bitte, bitte buht nicht mehr!» Und bei der «Aida»-Premiere buhte tatsächlich keiner. Standen Sie beim Applaus oben auf dem Stehplatz?
Nein, aber ich habe vor kurzem tatsächlich schon von oben zugeschaut – etwa bei «Simone Boccanegra». Aber sehen Sie, meine Überlegung war eine ganz simple: Wenn von den 30 berühmtesten Sängern zehn aus Angst vor Buhrufern nicht an der Scala singen wollen, muss ich weniger gute Sänger nehmen. Und die Gefahr, dass gebuht wird, wird noch grösser. Kommen diese auch nicht mehr, bleibt mir nur noch die dritte Garnitur. Derjenige, der dauernd buht, schadet irgendwann seiner eigenen Liebe zum Theater.
Kaum in Mailand angekommen, wurden Sie entlassen. Sie hatten Opern als Koproduktionen aus Ihrer Zeit als Leiter der Salzburger Festspiele gekauft – ein normaler Vorgang. Was war der wirkliche Grund für die Entlassung? Hatten die Italiener plötzlich Angst vor der Kraftmaschine Pereira?
Vielleicht. Aber es war viel eher so, dass sich andere ausgerechnet hatten, hier Intendant zu werden. Als es aber der Pereira wurde, haben sie gedacht, das wäre eine Chance, ihn doch noch aus den Angeln zu heben. Die Scala soll pro Jahr 21 Stücke spielen: ein Drittel neue, ein Drittel Koproduktionen und ein Drittel aus dem Fundus. Wenn ich ein Drittel Koproduktionen mache, habe ich zwei Möglichkeiten: Ich rufe den Kollegen Bachler in München an und frage, was er so spielt in den nächsten Jahren. Dann sage ich, was mich interessiert. Daraufhin schickt er mir die Produktion, so wie er sie sich ausgedacht hat. Nun habe ich aber drei Produktionen gekauft, die ich mir in Salzburg selber ausgedacht habe – bis hin zur Besetzung! Ich habe die besten Stücke und jene, die am besten ins Scala-Repertoire passen.
Das haben auch die Verantwortlichen kapiert. Sie haben nun einen Fünfjahresvertrag. Trieb Sie die Entlassung an, indem Sie sich sagten: Denen zeige ich es?
Nein. Als schliesslich alles drunter und drüber ging, und als es auch noch politisch wurde, sagte ich mir: Das Problem kannst du nur selber lösen, die finden keine Lösung. Und so ging ich am entscheidenden Tag zum Bürgermeister und sagte: Sie haben ein Problem, Sie müssen Ihre Expo über die Runden bringen. Wenn ich jetzt weggehe, bricht Ihnen das Ganze zusammen, ehe Sie einen neuen Intendanten haben. Und so machte ich ihm den Vorschlag, dass ich noch ein Jahr bleibe, dann könne man ja sehen, ob ich hier goldene Löffel stehle. Er hätte dann sein Expo-Problem gelöst, und ich hätte kein Problem mit einer solchen Lösung gehabt, auch wenn mir die Sache unangenehm war. Also schlug ich vor, dass ich es auf Probe mache. Er sagte: «Va bene!»
Alexander Pereira wurde 1947 in Wien geboren. 1979 erhielt er den Auftrag für die Frankfurter Bachkonzerte. 1984 wurde er als Generalsekretär der Konzerthausgesellschaft nach Wien berufen. Von 1991 bis 2012 war er Intendant des Opernhauses Zürich, von 2012 bis 2014 Intendant der Salzburger Festspiele. Seit Oktober 2014 leitet er die Mailänder Scala. Sein reiches Programm ist ein Pfeiler der am 1. Mai beginnenden Weltausstellung.
Die «Scala» an der Mailänder Expo
Zur Eröffnung der Weltausstellung in Mailand am 1. Mai zeigt die Scala eine neue Inszenierung von Giacomo Puccinis Oper «Turandot». Chefdirigent Riccardo Chailly dirigiert. Danach spielt man passend zum Expo-Thema Ernährung «CO2», eine Uraufführung von Giorgio Battistelli. Es folgen Klassiker und Raritäten von Gaetano Donizetti, Pietro Mascagni/Ruggero Leoncavallo, Giacomo Puccini, Verdi und Gioachino Rossini.
www.teatroallascala.org
www.expo2015.org/it