Was bringt die Philosophie in einer Zeit, in der die Welt kopf steht? Darauf hat Yves Bossart eine klare Antwort: «Die Philosophie wirft urmenschliche Fragen auf, die wir uns besonders dann stellen, wenn wir in existenzielle Grenzsituationen kommen. Und sie bietet Gedankenanstösse und Horizonterweiterungen, die essenziell sind für eine Demokratie.» Umgeben von Büchern und Kaffeeduft, sitzen wir im «Kapitel 10», dem einzigen Buchladen in seinem Quartier in Zürich Höngg.
Die Philosophie sieht der Luzerner als Vorbereitung auf Krisenzeiten. «Mit ihr kann man besser mit der Gleichzeitigkeit von Tragik und Schönheit umgehen – und mit der Ungewissheit, denn das Nichtwissen ist ja der Normalzustand bei der Philosophie.» Der promovierte Philosoph beschäftigt sich zwar täglich mit den grossen Menschheitsfragen, sagt aber: «Manchmal hilft nachdenken – manchmal auch einfach Sport oder eine Umarmung.» Wichtig ist ihm die Alltagstauglichkeit.
Während er bei der «Sternstunde Philosophie» mit seinen Gästen eine Stunde lang in ein Gespräch abtaucht, geht er im Youtube-Format «Bleisch & Bossart» in einem «Mix aus Gespräch, Wissensvermittlung und Plauderei» mit Barbara Bleisch philosophisch auf Alltagsfragen ein: Wie gehen wir besser mit Stress um? Wie beendet man eine Beziehung? «Die Sendungen haben unterschiedliche Flughöhen», meint er.
«Aber wir wollen stets an die Lebenswelt der Menschen anknüpfen und das aufgreifen, was in der Luft liegt.» Aktuelle Themen wie der Nahostkonflikt gehören genauso dazu wie Fragen nach dem Sinn des Lebens.
Ein erfrischend lockerer Bezug zur Philosophie
Nah am Alltag ist er auch in der philosophisch-psychologischen Sendung «Giiget’s» mit Rahel Giger auf SRF 3. «Die hört man nebenbei beim Zmörgele, und wir sind über Social Media im Austausch mit dem Publikum.» Kant in 30 Sekunden erklärt – funktioniert das? Er lacht: «Da kann man natürlich nur scheitern!» Bossart hat einen erfrischend lockeren Bezug zu einer Disziplin, die sonst dem sogenannten Elfenbeinturm zugeordnet wird.
Persönlich liebe er es zwar, in Gedanken «abzuspacen», aber in seinen Sendungen wolle er die Leute erreichen. Zuweilen stellt er sich gar mit seiner «Standup Philosophy» mit Rayk Sprecher live auf der Bühne dem Publikum. «Das war für mich ein Schritt aus der Komfortzone hinaus!» Aber wenn Menschen über Humor zur Philosophie finden, freut ihn das. Die Philosophie nur am Rande berührt er beim persönlichen Gespräch im «Focus» auf SRF 3, wo es auch mal frecher sein dürfe und er mehr improvisieren könne.
Der Improvisation frönt er ebenso in der Musik: Früher an der Trompete, jetzt am Klavier, streift er durch Jazzgefilde oder spielt mit seiner Band Pop und Funk. Den wichtigsten Part im Leben übernimmt aber die Familie: «Durch meine Töchter, 4 und 7, habe ich meinen Spieltrieb wiederentdeckt und das Verweilen im Moment. Aber natürlich scheitern wir auch oft.» Doch im Familientrubel helfe vor allem eines, meint er lachend: «die Philosophie der Stoiker».
Sternstunde Philosophie
Yves Bossart über «Hässlichkeit» mit Moshtari Hilal und Elisabeth Lechner
So, 5.11., 10.55 SRF 1
Standup Philosophy
Do, 16.11., 20.00 Millers Zürich
www.langenachtderphilosophie.ch
Yves Bossarts Kulturtipps
Musik
Hania Rani
«Ich habe die polnische Pianistin, Komponistin und Sängerin erst vor kurzem entdeckt – und bin hin und weg von diesem Sound! Mein Lieblingsstück: ‹Glass›.»
Podcast
Sein und Streit
«Der Philosophie-Podcast von Deutschlandfunk Kultur bringt jede Woche ein längeres Gespräch mit wertvollen Gedanken zum Zeitgeschehen. Die Macherinnen sind hervorragend.»
Buch
Moshtari Hilal: Hässlichkeit
(Hanser 2023)
«Die Autorin zeigt, wie viel Hass in der Hässlichkeit steckt und wie politisch unser Schönheitsempfinden ist. Ein kraftvolles Buch, das nicht nur unsere Schönheitsnormen radikal infrage stellt.»