kulturtipp: Verstehen Sie, dass wir hier beim Wort Russland sofort über Politik diskutieren?
Yuri Bashmet: Ja, auch wenn ich ein unpolitischer Mensch bin. Russland ist seit Beginn der Besetzung der Krim und des Konflikts mit der Ukraine isoliert, entfernt sich immer mehr von Europa. Ich beginne mit einem Witz, um zu antworten: Als der kleine Krieg mit Georgien im Jahr 2008 begann, zu Micheil Saakaschwilis Zeit, war ich in den USA. Eine Frau hatte dort gehört, dass Bomben auf Georgien gefallen seien. Da rief sie ihre Bekannte in Georgia an und sagte: «Oh, was ist los? Bomben in eurem Garten?» Georgia, USA … Verstehen Sie? In einem Krieg gibt es immer Leute, die Dummheiten und Lügen erzählen.
Welche Lügen werden seit 2015 über den Ukraine-Konflikt erzählt?
Für Russen und Ukrainer ist der aktuelle Konflikt schmerzvoll, da wir eine Familie bilden. Meine Frau ist Ukrainerin, doch wir sprechen nie über Politik. Zugegeben, ich bin nicht oft zu Hause. Die Sowjetunion – goodbye, Sowjetunion! – ist weiterhin in unserem Blut und deswegen will kein Russe einen Ukrainer töten, kein Ukrainer einen Russen.
Warum tun sie es dennoch?
Aus Hass. Sie hassen sich. Ich wuchs in Lemberg auf in der Westukraine. Dort war man schon immer gegen die Ostukraine. Als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg in die Ukraine einmarschierten, waren die Westukrainer glücklich, dass sie jemand vor der Sowjetunion beschützte, ihnen den Frieden schenkte. Sie strebten schon im Habsburgerreich dem Westen zu. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie Teil der Sowjetunion, des Ostens.
Zurück in die Gegenwart. Wird es je eine Lösung in diesem Konflikt geben?
Wir könnten auf einem Blatt notieren, was die verschiedenen Parteien wollen: die Amerikaner, die Europäer, die Russen. Was auf diesem Papier geschrieben steht, ist eine Sache. Was wir fühlen, eine andere. Da waren zwei verheiratet, jetzt sind sie getrennt – und streiten.
Keiner trägt eine Schuld?
Die Russen sind in dieser Sache schuldig, denn sie schauten vor 20 Jahren nicht zur Ukraine. Damals hätten Sie mehr über das Land nachdenken müssen. Die Russen sind aber keine schlechten Menschen, im Gegenteil.
In Deutschland wird viel diskutiert über Valery Gergiev, der ja in München Chefdirigent ist, Wladimir Putin sehr nahesteht, ein Pro-Putin-Manifest unterschrieb – genauso wie Sie.
Ja. Putin ist wie mein bester Schulfreund in Lemberg: Wenn der etwas tun wollte für mich, tat er es – und er wusste, ob etwas gut oder schlecht war, schwarz oder weiss. Wenn er mal keine Lösung für etwas hatte, sagte er: «Ich werde schauen.» Und ich wusste: Er würde alles versuchen, um die Lösung zu finden.
Ist das «Problem» Krim gelöst?
In der Sowjetunion war die Krim immer sehr präsent: Auf die Krim zu gehen, war für uns Russen in der Sowjetunion dasselbe wie die Fahrt der Franzosen an die Côte d’Azur. Ich war zwar 20 Jahre nicht mehr dort, kam erst zurück, als die Krim wieder russisches Territorium wurde.
Die Krim wurde wieder russisch, weil Russland das internationale Völkerrecht verletzte. Egal?
Das internationale Völkerrecht ist etwas Wichtiges, gewiss, aber es ging juristisch alles mit rechten Dingen nach internationalem Recht zu. Keiner kann sagen, dass es unrecht war. Ich war mit einem Jugendorchester dort, wir gaben drei Konzerte und die Leute waren extrem glücklich darüber. Wir schrieben «Festkonzert» über das Programm – es gab eine Standing Ovation. Es hätte ja sein können, dass jemand das Konzert stören und auf uns schiessen würde. Nichts geschah! Es gab auch keine Sicherheitsleute. Wir erhielten so viele Blumen, dass wir das Grab von Stalin oder eines US-amerikanischen Präsidenten damit hätten bedecken können. Der Applaus war endlos.
Sie kommen regelmässig ans Festival nach Verbier; auch dieses Jahr unterrichten Sie in der Academy.
Ich liebe dieses Festival, obwohl es für uns Künstler intensiv ist. Aber ich mag vor allem die Meisterklassen – und Festivalleiter Martin Engström; er ist mein Freund. Oh, die Meisterklassen sind grossartig! Die zwei Stunden bei Ivry Gitlis im Sommer 2013 sind unvergesslich für mich. Ein toller Kerl –etwas verrückt … Als ich ihn nach einem Konzert in London fragte, was für eine Geige er habe, antwortete er: «Eine Secondhand-Geige!»
Früher kam der lettische Geiger Gidon Kremer nach Verbier, dann wendete er sich öffentlich ab. Sie spielen seit langem nicht mehr mit Gidon Kremer, dem Russland-Kritiker. War die Politik schuld?
Nein, im Prinzip interessiert mich die Politik nicht, auch wenn ich zu meiner Position stehe. Kultur gründet auf Jahrhunderten, Politik hat immer einen kleinen Horizont. Und manchmal ist sie schrecklich. Können Sie sich vorstellen, dass ich nicht mehr in meine Heimatstadt Lemberg gehen und Blumen auf die Gräber meiner Eltern legen kann? Die würden mich dort umbringen. Ich schicke nun meinem alten Schulfreund Geld, damit er für mich Blumen legt. Ich vertrete eine Position, bin aber nicht aggressiv – nie in meinem Leben: Ich stehe für die Freiheit, und möchte, dass die Menschen glücklich sind.
CD
Yuri Bashmet
The Complete RCS-Recordings
9-CD-Box
(RCA 2016)
Konzerte
Sa, 18.3., 19.00
Kultur Casino Bern
So, 23.7., 19.00
Salle des Combins Verbier VS