Schlaftrunken taumelt Yuja Wang um 10.40 Uhr in eine Genfer Hotelhalle zum Interviewtermin. Ersten Fragen weicht sie aus, taut dann auf und redet von den dunklen Seiten ihres Erfolgs.
kulturtipp: Yuja Wang, hilft Üben gegen Zweifel?
Yuja Wang: Eine harte Frage so früh am Morgen. Je mehr Sie beweisen müssen, desto mehr Zweifel sind da. Zweifel machen mich aber neugierig auf die Musik.
Wenn da Zweifel sind, sitzen die im Kopf oder in den Fingern? Hilft es dann, wenn Sie stundenlang üben, bis der Lauf sitzt?
Das ist mal so, mal so. Es gilt so oft, Nein zu sagen in einem Musikerinnenleben. Man will drei Tage zu Hause sein, kriegt wieder eine Anfrage, fliegt irgendwohin, spielt 25 Minuten, ist wieder drei Tage unterwegs, hat Stress, Jetlag und kommt nicht zur Ruhe. In solchen Momenten kommt immer öfter die Frage hoch, was ich im Leben noch erreichen möchte. Es gäbe so viele Dinge, die ich noch nicht gemacht habe. Früher war da immer und überall ein künstlerisches Ziel, jetzt merke ich, dass es auch Blumen gibt im Leben, eine Freude, die ich riechen kann. Sie wissen, was ich meine?
Ich glaube ja …
Entscheidend ist, dass ich heute im Unterschied zu früher mehr Spass habe. Immer gelingt es nicht.
Sie sind gerade auf einer sehr intensiven Tournee, spielen fast täglich, gestern Genf, heute München, morgen Amsterdam. Sie schienen am Sonntag in Zürich nicht gerade locker und spielten dennoch drei Zugaben.
Beim Schumann-Konzert kann man nicht locker sein – und ich spiele Zugaben, wenn es gerade stimmt: Ich liefere nicht etwas ab, was ich nicht will.
Wessen Meinung ist heute noch wichtig, da Ihnen die ganze Welt zugejubelt hat?
Ich bin Chinesin und folglich bescheiden. Einst spielte ich vielen Kapazitäten vor und hörte auf deren Ratschläge: Radu Lupu, Murray Perahia oder Claudio Abbado. Aber vor fünf Jahren merkte ich, dass es damit nun gut ist. Es ist Zeit, dass ich meine eigenen Urteile akzeptiere. Ich spiele, seit ich sechs Jahre alt bin. Ich realisierte, dass dieses Wissen und eine nötige Intuition tief in meinem Herzen und in meinem Geist stecken. Einige Ratgeber konnten das aus mir rausbringen, aber ich muss das nun für mich alleine entdecken.
Sie wissen heute, dass Sie gut sind!
Obwohl ich wusste, was ich konnte, musste ich lernen, den Geist zu öffnen. Ich mag die Frage aber immer mehr: Was ist gut? Ist es, wenn ich exakt spiele? Oder begeisternd? Wild? Sorgfältig? Tauchte ich genug weit ein in das spirituelle Leben der Komponisten? Die Frage ist wohl nicht «gut oder nicht gut?», sondern ob es befriedigend ist für mich. Das Spiel muss zu mir sprechen. Ich muss Vertrauen zu mir haben, ich muss glücklich sein.
Was heisst das für Ihr Konzertleben?
Ich will in Zukunft mehr Kammermusik spielen, nicht mehr mit irgendeinem Orchester nach kurzer Probezeit ein- oder zweimal auftreten. Trete ich mit Freunden auf, haben wir die Wahl, welches Repertoire wir spielen – mehr Auswahl von meinem Herzen als Bestimmung von oben. Ich habe auch begonnen, selber vom Klavier aus Orchester zu leiten und auf den Dirigenten zu verzichten. Beethoven ist schon gespielt, Schumann wird kommen, auch Schostakowitschs 2. Klavierkonzert. Es wird ziemlich kompliziert. Schaffe ich Schumann, kann ich auch Brahms ohne Dirigenten wagen. Aber es müssen tolle Orchester sein.
Vorbei also die Zeiten, in denen man in Ihnen die brillante, aber seelenlos spielende Asiatin hörte?
Das ist «Bullshit». Bei mir war das auch irgendwann vorbei, ich spielte so viel Brahms, dass man begriffen hatte, dass ich anders bin. Aber egal: Ich spiele und weiss nicht, was die da denken, ich kann das nicht kontrollieren. Bin ich Gott oder Abfall? Sollen sie glauben, was sie wollen. Die Jungen, die überdurchschnittlich oft in meine Konzerte kommen, haben zum Glück sowieso keine Vorurteile. Ich spielte letzte Saison sechsmal in der New Yorker Carnegie Hall, sechsmal war sie ausverkauft. Das Gerede, dass die Klassik stirbt, kann ich nicht mehr hören. Plattenfirmen sterben wahrscheinlich, aber nicht die Klassik. Ich habe keine CDs mehr, habe sie bei meinem letzten Umzug alle weggegeben: Alles ist hier auf dem iPhone.
Wie sieht Ihr Konzertleben in zehn Jahren aus?
Halb hoffe ich, dass alles gleich bleibt, halb wünsch ich mir, dass alles anders wird. Klar, das Level und den Status möchte ich gerne halten. Aber ich will das Leben mehr geniessen, weniger auftreten: Ich will keine Sklavin des Spielplans sein. Vielleicht werde ich ein Baby haben, vielleicht höre ich mit 35 auf, da ich dann keine Freude mehr an der Sache habe. Wer weiss.
Hatten Sie denn bisweilen keine Freude mehr?
Ich habe die Freudlosigkeit auch schon gefühlt, musste dann jeweils einen Stopp ziehen. Wenn ich gelangweilt bin, werde ich andere langweilen. Vor kurzem war ich krank, zwei Wochen konnte ich zu Hause in New York sein – und ich genoss diese Zeit extrem! Ich traf Freunde, machte meine Sachen und übte auch etwas. Es war so schön! Aber dann zog es mich wieder zurück. Und dann war da wieder das Ein- und Auschecken am Flughafen, Transfers, die Züge, der Stress: das Leben für das Konzert am Abend.
Konzerte Yuja Wang
Mit Klarinettist Andreas Ottensamer
Mi, 31. 7., 19.30
Kirche Saanen BE
Mit Staatskapelle Dresden
Leitung: Myung-Whun Chung
Fr, 6. 9., 19.30
Festivalzelt Gstaad BE
Mit Geiger Leonidas Kavakos
am Lucerne Festival
Mo, 19.8., 19.30 KKL Luzern
Hommage an Paris
Das 63. Menuhin Festival & Academy Gstaad steht unter dem Motto «Paris». In zahlreichen Konzerten schafft Intendant Christoph Müller Verbindungen zur französischen Metropole, unter anderem wird am 24. August Bizets «Carmen» konzertant aufgeführt. Vorher stehen die hochkarätig besetzten Konzerte in der Kirche von Saanen an – mit Sol Gabetta, Patricia Kopatchinskaja, András Schiff u.a. Danach locken die Sinfoniekonzerte ins Festivalzelt nach Gstaad. Die georgische Pianistin Khatia Buniatishvili wagt sich am 16. August solo ins Zelt.
63. Gstaad Menuhin Festival
Do, 18.7.–Fr, 6.9.
www.gstaadmenuhinfestival.ch
CDs mit Yuja Wang
The Berlin Recital
Rachmaninov,
Scriabin, Ligeti,
Prokofiev (DG 2018)
Ravel
Mit Tonhalle-Orchester Zürich
Leitung: Lionel
Bringuier (DG 2015)
Fantasia
Rachmaninov, Scarlatti u.a. (DG 2012)