Yael Pieren - Schreibend die Gegenwart greifen
Die 23-jährige Autorin Yael Pieren wagt mit ihrem vielversprechenden Roman «Storchenbiss» ein eigenwilliges Debüt.
Inhalt
Kulturtipp 22/2012
Babina Cathomen
Wie einsame Kometen schweben Yael Pierens Romanfiguren durch Raum und Zeit: Die junge Frau, die im Heute in einer fast leeren Wohnung lebt und nach Antworten sucht, wer sie sein könnte. Der Mann, der in den 60ern seine sterbende Mutter pflegt. Die Goldschmiedin, die in derselben Zeit bei einem Streit über ihre lieblose Beziehung einen Finger und damit ihre Schaffenskraft verliert.
Vieles bleibt lange im Unklaren, Schwebenden. Anfangs verbinden die dre...
Wie einsame Kometen schweben Yael Pierens Romanfiguren durch Raum und Zeit: Die junge Frau, die im Heute in einer fast leeren Wohnung lebt und nach Antworten sucht, wer sie sein könnte. Der Mann, der in den 60ern seine sterbende Mutter pflegt. Die Goldschmiedin, die in derselben Zeit bei einem Streit über ihre lieblose Beziehung einen Finger und damit ihre Schaffenskraft verliert.
Vieles bleibt lange im Unklaren, Schwebenden. Anfangs verbinden die drei Figuren lediglich die Wurzellosigkeit und die zurückgezogene Lebensweise. Erst nach und nach entwirren sich die kunstvoll ineinander verflochtenen Fäden, und zwischen den dreien zeigen sich die familiären Verbindungen. Bis weit zurück in die 50er reicht die Geschichte, als der Vater aus der verarmten Familie als Verdingbub weggeschickt wurde und auf einem Bauernhof Gewalt und Härte erlebte. Viel später lernt er die Goldschmiedin kennen, mit der er aus der Enge flüchtet. Die junge Frau in der leeren Wohnung entpuppt sich als Tochter der beiden – mit einem Bruder, dem das Leben so viel Angst einflösst, dass er es nur in der Psychiatrie aushält.
Die Protagonisten versuchen schreibend, ihre Vergangenheit und damit ihre Gegenwart zu fassen. Alle sind von vergangenen Ereignissen geprägt – der titelgebende «Storchenbiss», das rote Mal im Nacken eines Säuglings, hat damit auch im übertragenen Sinn eine Bedeutung.
Yael Pieren springt zwischen Zeiten und Figuren hin und her. Mit ihrem verschachtelten Debütroman verlangt sie den Lesern einiges ab. Belohnt werden sie mit einer feinen, poetischen Sprache, die sich an den melancholischen Grundton des Romans anschmiegt. Die Jungautorin, Tochter einer Deutschen und eines Ungarn, ist in Basel aufgewachsen und studiert in Wien Philosophie. Man darf gespannt sein, in welche Richtungen sich ihre Sprachkraft entfaltet.
[Buch]
Yael Pieren
«Storchenbiss»
176 Seiten
(Rotpunktverlag 2012).
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