Wenn Bozo Vreco singt, erheben sich die Menschen von ihren Stühlen, liegen sich in den Armen, weinen. Wenn Bozo Vreco singt, lösen sich Grenzen auf.
Der 41-jährige Musiker aus Bosnien-Herzegowina ist einer der bekanntesten Sevdah-Interpreten. Sevdah ist traditionelle bosnische Musik mit Wurzeln im 16. Jahrhundert. In ihr kommen südslawische, osmanische, sephardische und romani Einflüsse zusammen. Das Wort Sevdah bedeutet auf Türkisch «Liebe», auf Arabisch «schwarze Galle». Die Texte der Lieder erzählen von unerfüllter Liebe, Schmerz und Sehnsucht. Im Dezember 2024 hat die Unesco Sevdah in ihre Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.
«Ich glaube nicht an Geschlechter»
Als Kind hört Bozo Vreco diese Musik im Radio, während seine Mutter, ebenfalls eine Künstlerin, zuhause Kleider näht oder malt. Bozo wächst in Foca, im Osten Bosniens, auf. Während seines Archäologiestudiums im serbischen Belgrad beginnt er, sich mit seiner Identität auseinanderzusetzen. Mehr und mehr findet er zur Musik, zu Sevdah. Und er reist ins bosnische Sarajevo, Zentrum der alten Liebeslyrik. Er, ein ethnischer Serbe, lernt Lieder, die bis anhin vor allem in der bosniakischen Tradition gelebt wurden. Und als Bozo Vreco singt er aus Frauenperspektive: «I ja mogu biti kralica» – «Auch ich kann Königin sein».
Erst tritt er im Anzug auf, bald in wehenden, rückenfreien Kleidern. Heute trägt er lange schwarze Haare, schwarzen Bart, schwarzen Kajal, schwarze Pumps mit roter Sohle. Seine Presseagentin sagt einer «Republik»-Journalistin, dass «er» als Pronomen in Ordnung sei. Vreco selbst sagt in Interviews: «Ich glaube nicht an Geschlechter.» Oder: «Ich bin ein Mann und eine Frau im selben Körper, ein Tenor und ein Sopran» – «ein Wesen der Liebe, des Mutes, der Freiheit jenseits von Vorurteilen.»
Mal schwerelos, mal stampfend
Bozo Vreco bricht mit Konventionen und ist damit international erfolgreich. Seine Konzerte sind meist ausverkauft, vom Balkan bis nach Australien. Gerade erscheint sein siebtes Studioalbum. Er schreibt eigene, neue Sevdah-Lieder, Bücher, hat einen Dokumentarfilm gedreht, seine Musik wird in Theatern und Ballettaufführungen gespielt. Sein Stimmumfang und seine Versiertheit beeindrucken.
Leicht wechselt er vom starken, hohen Vibrato in ein Beinaheflüstern. Auf der Bühne dreht er sich mal schwerelos wie ein Derwisch, mal stampft er ekstatisch und tanzt mit den Zuschauerinnen und Zuschauern. Wenn er singt, scheint er eine Katharsis zu durchleben – das Publikum mit ihm.
Einem serbischen TV-Sender sagt er, dass sein ganzes Sein Sevdah sei, der «Süddeutschen Zeitung», dass er traditionelle Musik aus einer Box befreien wolle. Auch sich selbst hat er befreit. Doch das habe Mut gebraucht, hört man im kroatischen Fernsehen. Seine Mutter und seine Schwestern hätten ihn unterstützt bei dieser Metamorphose eines Schmetterlings. Vielleicht ist es das, was die Menschen feiern. Dass da trotz vielen Mühen und viel Schmerz immer auch Hoffnung und Liebe ist.
Konzerte
Bozo Vreco
Fr, 10.1., 20.30 Moods Zürich
Sa, 11.1., 21.00 Gaskessel Bern