Ausgerechnet in der Fremde ist Hubert von Goisern auf das Heimische gekommen. Mit 20 war er nach Südafrika gegangen, er heiratete eine Kanadierin und lebte später in Toronto. Auf den Philippinen kam es zu einem Schlüsselerlebnis für den späteren Weltmusiker: Bei Eingeborenen in einem Bergdorf hat er deren urtümliche Volksmusik kennengelernt. Und durch sie ist er auf die eigene Folklore gekommen. Er hatte heimische Klänge bis anhin verachtet. Sie erschienen ihm angestaubt. Für den Weltläufigen haftete ihnen das Reaktionäre an.
Bei der Suche nach seinen musikalischen Wurzeln sei er auf ein Tabu gestossen, wie er letztes Jahr gegenüber dem Wiener «Standard» erklärte: «Die Beschäftigung mit Volksmusik war ein Gang über ein Minenfeld. Minen aus der Nazizeit. Und dann noch Phänomene wie der ‹Musikantenstadl›! Um die Volksmusik aus diesem Sumpf rauszuholen, musste ich sie zerreissen.» Das heisst, er hat die Volksmusik in ihre Bestandteile zerlegt, um sie wieder neu zusammenzusetzen – «das hat etwas von Exorzismus».
Von Goisern liess sich nicht einfach zur heimischen Volksmusik «bekehren». Kind seiner Zeit, fing er an, die vertrauten Weisen, die «Landler» und «Jodler», mit der aktuellen Popmusik zu verbinden – er wurde zum «Versöhner der Volksmusik» («Süddeutsche Zeitung»). Zum Bewahrer auf der einen, zum Erneuerer auf der anderen Seite. Ein Etikett war bald gefunden: «Alpenrock», als dessen Begründer von Goisern heute gilt. Andere nannten ihn auch einen «Tom Waits in Lederhosen».
Stets erweiterte er seinen globalen Radius – mit immer wieder neuen Inspirationen. Eine Begegnung mit der Schimpansenforscherin Jane Goodall brachte ihn dazu, erneut nach Afrika zu reisen, diesmal nach Tansania. Hier wie in Westafrika spielte er mit einheimischen Musikern. Dieser kulturelle Austausch führte zu neuer Musik, ebenso wie eine Reise in den Tibet (und zum Dalai Lama in Indien). Die musikalischen Ergebnisse brachte von Goisern auf CDs heraus.
Ursprünglich hiess er Hubert Achleitner und wurde in der heimatlichen Blasmusik sozialisiert. Seine Karriere als Trompeter in einer der sieben Kapellen von Bad Goisern im oberösterreichischen Salzkammergut war von kurzer Dauer. Der aufmüpfige und langhaarig pubertierende Hubert wurde bald rausgeworfen. Er nahm dies als Chance, um andere Instrumente zu lernen, Musik zu studieren und durch die Welt zu ziehen. Mitte der 1980er-Jahre entschied Hubert von Goisern, Profimusiker zu werden. Anfangs wenig erfolgreich, spätestens bis zum Hit «Koa Hiatamadl», den er 1992 zusammen mit der Band Die Alpinkatzen einspielte. Kennzeichen von Hubert von Goiserns Texten in markiger Mundart: Witz, Frechheit, oft auch politisches Engagement.
Zum Dank dafür, dass der Künstler den Namen seines Heimatorts in die Welt hinausgetragen hat, verlieh ihm der Gemeinderat von Bad Goisern im Jahr 2004 das Ehrenbürgerrecht. Dies ohne die Stimmen der rechten Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), die sich gegen die Ehrung des bekennenden Grünen Hubert von Goisern aussprach. Der verstorbene FPÖ-Chef Jörg Haider hatte übrigens in Bad Goisern während der 1950er-Jahre die Volksschule besucht.
Als zwei Jahre später dieselbe Partei Hubert von Goiserns Lied «Heast as nit» bei einer Parteiveranstaltung verwendete, protestierte der Künstler in einem offenen Brief. Unter anderem schrieb er: «Ich stehe für eine offene, tolerante Gesellschaft, für den Abbau der Ängste vor dem Fremden und Neuen, und nicht das Schüren derselben. Ich stehe dafür, den Veränderungen ins Auge zu schauen und nach vorne zu blicken, nicht für den Versuch, die Zeit aufzuhalten oder gar zurückzudrehen.»
Immer Platz für Jodel
Von Goisern letztes Grossprojekt war die «Linz-Europa-Tournee»: Auf drei Schiffen, eines mit Bühne, war er zwischen 2007 und 2009 unterwegs auf Donau, Rhein und Main. Eine Konzertreise bis ans Schwarze Meer und nach Rotterdam mit örtlichen Gastmusikern und Zehntausenden von Zuschauern bei häufigem Anlegen.
Heute ist der 59-Jährige dort angelangt, wo er einst anfing. Das neue Album «Entweder UndOder» ist Ausdruck einer Reduktion: Keine üppigen Sounds wie auch schon, keine vielköpfige Band. Nur zu viert, mit klassischer Rockbesetzung (Gitarre, Bass, Schlagzeug) und Hubert von Goisern an diversen Instrumenten wie der obligaten Ziehharmonika, an Maultrommel oder Stromgitarre. Die Musik mischt Stile wie Blues, Folk, Country, Barjazz, Reggae und Ska. Und Volksmusik. Das Typische darf dabei nicht fehlen: Selbst im rockigsten Stück hat es Platz für eine Jodeleinlage.
Mit Max Lässer
Auf seiner aktuellen «Brenna tuats guat 2012»-Tour macht Hubert von Goisern zusammen mit seiner Band auch in der Schweiz halt. Hier spielt er nicht nur gern, mit Schweizer Musikern macht er gelegentlich auch gemeinsame Sache. So hatte von Goisern bei einem Alpenmusik-Abend an der Expo.02 den Zürcher Gitarristen Max Lässer kennengelernt. Lässer spielte später auf einem von-Goisern-Album mit und wurde für eine Tour Mitglied in seiner Band. Und umgekehrt ist auf dem letztjährigen Album «Iigschneit» von Max Lässer und dem Überlandorchester auch zweimal Hubert von Goisern mit seiner Ziehharmonika zu Gast.
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Hubert von Goisern
EntwederUndOder
(Capriola/Sony 2011).
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