Demütig senkt sie den Blick auf den Kleinen, der weg von der Mutter in die weite Welt schaut. Das Bild «Maria mit Kind in architektonischer Rahmung» des flämischen Malers «Meister des Heiligen Blutes» ist die Idealisierung einer Frau, die ihre Rolle zu Beginn des 16. Jahrhunderts gefunden hat. Der Name des Künstlers ist unbekannt, aber die ihm zugeschriebenen Werke sind in Belgien verbreitet. Wer immer diese heilige Jungfrau gemalt hat, als eine kämpferische Frau hat er sie nicht verstanden. Sie wirkt eher wie eine Dienende, die sich für das Christentum aufopfert.
Eindimensionale Rollenbilder
Das Gemälde «Maria mit Kind» ist in der neuen Ausstellung «Women» des Kunstmuseums Winterthur zu sehen. Die Schau illustriert den Wandel des Frauenbildes in der Kunstgeschichte. Laut der Kuratorin Andrea Lutz prägten Männer während Jahrhunderten die künstlerische Wahrnehmung der Frauen: «Das änderte sich erst in den letzten 50 Jahren, als Frauen sich selbst thematisierten.» Als Gegenbild zu den «eindimensionalen Rollenzuwendungen haben zeitgenössische Künstlerinnen wie Pipilotti Rist oder Candice Breitz Beiträge zu einem neuen weiblichen Menschenbild geschaffen». Breitz setzt auf Ironie und Witz mit der Reihe «Becoming» (2003): Sie inszeniert in ihren Videos Filmszenen mit Hollywood-Schauspielerinnen wie Julia Roberts oder Sängerinnen wie Jennifer Lopez neu zu Parodien und respektiert gleichzeitig ihre künstlerischen Leistungen.
Das Madonnen-Ideal musste im 17. Jahrhundert den häuslichen Vorstellungen des aufstrebenden Bürgertums weichen. «Calvinistische Moralvorstellungen wie Fleiss, Bescheidenheit und Disziplin fanden in der Genremalerei ihren Niederschlag», wie es im Ausstellungskatalog heisst. Der Lebens- und Wirkungsbereich der Frau war auf den häuslichen Bereich beschränkt, während der Mann eher als Besucher auftritt. Die Frau erscheint als «gewissenhafte und tüchtige Magd». Statt als Heilige tritt sie nun als Arbeiterin auf, die sich für das Wohl ihrer Familie und damit der Gesellschaft einsetzt.
Heutige Betrachter lesen die Bilder allerdings nicht mehr gleich wie zu jener Zeit: Die Symbolik – oftmals mit versteckten erotischen Motiven – ermunterte etwa zur Sittsamkeit und Mässigung. Oder sie verriet etwas über die Lebensweise der dargestellten Personen.
Eigenständige Frauen blieben Ausnahmen
Den «klischierten Vorstellungen männlichen Wunschdenkens», wie es im Ausstellungstext heisst, standen historisch nur wenige Werke von Künstlerinnen gegenüber. Wegweisend war die Bündner Porträtistin Angelika Kauffmann (1741–1807), die ihre Malerei im 18. Jahrhundert zu einem lukrativen Kunstgeschäft ausbaute. Andere sind heute weniger bekannt als zu ihrer Zeit, etwa die französische Impressionistin Berthe Morisot (1841–1895), die zeitweilig mit einem Bruder von Edouard Manet verheiratet war.
Eigenständige Frauen wie Morisot blieben jedoch Ausnahmen. Erst mit dem gesellschaftlichen Wandel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es zu einem Perspektivenwechsel: Dies illustrieren Video-Installationen der Ostschweizerin Pipilotti Rist mit «I’m not the Girl who misses much» oder die Winterthurerin Olga Titus mit «Mirror Mirror on the Wall». Sie karikieren mit Ironie und Witz verbreitete Konventionen der Kunstwahrnehmung und führen damit zu neuen, mitunter provokativen Sichtweisen.
Im schärfsten Kontrast dazu steht ein Teil des Werks von Henri de Toulouse-Lautrec (1864–1901). Er lässt die Halbwelt von Paris in einem idealisierten Licht erscheinen, etwa mit dem Bild «La Clownesse assise, Mademoiselle Cha-U-Ka-O», die er fünf Jahre vor seinem frühen Tod malte. Die Frau erscheint selbstbewusst, als würde sie selbst die Strippen im Cabaret-Geschäft ziehen. Aber sie provoziert mit ihrer Stellung auch, als ob ihr die bürgerlichen Konventionen nichts bedeuteten. Flüchtete Toulouse-Lautrec in Männerfantasie oder erfasste er eine Realität, wie er sie zu erfahren glaubte? «Aus heutiger Sicht zeugen viele der Kunstwerke von der Verlogenheit, aber auch den Sehnsüchten der bürgerlichen Gesellschaft, die mit der zunehmenden Emanzipation der Frau von Verunsicherung und Angst vor der Sexualität beherrscht wurde», heisst es dazu im Katalog.
Ein Querschnitt durch die Kulturgeschichte
Die Ausstellung schlägt einen kühnen Bogen von dem Beginn der Neuzeit bis zur zeitgenössischen Kunst. Sie vermittelt dem Publikum eine gesellschaftliche und künstlerische Zusammenfassung der Kulturgeschichte – ein mutiges Unterfangen.
«Women»
Sa, 24.2.–So, 17.6.
Kunstmuseum Winterthur