Dieses grosse Gefühl der Unverwundbarkeit: Nichts und niemand kann ihnen etwas anhaben, die Welt liegt ihnen zu Füssen. So wie viele Jugendliche empfinden auch die 14-Jährigen Maik und Tschick. In Wolfgang Herrndorfs Roman verbringen sie die aufregendste Woche ihres Lebens, unterwegs mit einem geklauten Lada durch die ostdeutsche Provinz.
Dabei hatten die Sommerferien schlecht angefangen. «Endbescheuert», würde der Ich-Erzähler Maik sagen. Sein Schwarm Tatjana hat ihn nicht zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen, da er in seiner Klasse wahlweise als Langweiler oder «Psycho» gilt. Seine Mutter ist in der Entzugsklinik, der Vater macht sich kurzzeitig mit der Assistentin aus dem Staub und lässt Maik mit ein paar Geldscheinen allein zurück. Einzig sein Klassenkamerad Andrej Tschichatschow alias Tschick interessiert sich für ihn. Wie Maik gilt er als Aussenseiter: «ein Asi», «der wirkte als wäre er kurz vor dem Koma oder so», «mit unförmigen Schuhen, die aussahen wie tote Ratten».
Der russische Migrant und der gutbürgerliche Junge haben vordergründig wenig gemeinsam. Aber als Tschick ihn zu einer Spritztour auffordert, muss Maik nur kurz überlegen. Ziel ist die Walachei – wo diese genau liegt, weiss zwar keiner so genau. Die beiden fahren einfach los ohne Kompass, dafür mit Tiefkühlpizzas. Und bald stellt Maik fest: «Der ist ja wirklich gar nicht so doof. Er konnte ziemlich komisch sein. Aber wenn’s drauf an kam, war er eben auch nicht komisch, sondern ernst.»
Abenteuerliche Reise
Die beiden schlittern auf der Flucht vor der Polizei von einem Abenteuer ins nächste: Auf einer Müllkippe begegnen sie der draufgängerischen Isa, mit der sie nach anfänglicher Skepsis Blutsfreundschaft schliessen. In einem Braunkohle-Abbaugebiet treffen sie auf den schrägen Horst, der sie zuerst mit seinem Luftgewehr beschiesst und ihnen danach von seiner verlorenen Liebe und seinen Erfahrungen an der Ostfront erzählt. Und selbst als eine resolute Sprachtherapeutin einen Feuerlöscher auf Tschicks Fuss fallen lässt und sie im Spital landen, ist die Reise nicht zu Ende.
Maik und Tschick erleben eine Abenteuerreise wie einst Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Stets schwanken sie zwischen Naivität, jugendlichem Leichtsinn und der Suche nach den grossen philosophischen Antworten. Herrndorf ist ein witziger und gleichzeitig melancholisch-lakonischer Roman gelungen, der von Liebe und Tod, von Sehnsucht und Freundschaft sowie dem grossen Freiheitsgefühl erzählt. Der Autor trifft den Jugendjargon, ohne anbiedernd zu wirken. «Diese Moll-Scheisse zog mir komplett den Stecker», sinniert der 14-Jährige etwa, als sie die einzig verfügbare Kassette mit Klaviergeklimper von Richard Clayderman im Auto hören.
Die 28-jährige Illustratorin Laura Olschok findet für die Geschichte fein gezeichnete Bilder in Schwarz-Weiss, denen sie jeweils eine einzelne farbige Komponente zuordnet. Sie erinnern oft an Wimmelbilder und veranschaulichen die Fülle der Reise-Eindrücke.
Der an einem Hirntumor erkrankte Autor starb 2013 erst 48-jährig. Sein preisgekröntes Buch, das über eine Million Mal verkauft und in 24 Sprachen übersetzt wurde, soll im Herbst als Verfilmung in die Kinos kommen.
Wolfgang Herrndorf
«Tschick»
Erstausgabe: 2010
Heute mit Illustrationen von Laura Olschok in der Edition Büchergilde.