Wo steckt dieser Russe bloss? Trotz der Zusicherung, dass es klappt, ist bei der Verabredung in Genf vom jungen Genie Daniil Trifonov nichts zu sehen. Bereits machen wir der Deutschen Grammophon Beine, damit jemand Trifonov in seinem Genfer Hotel anruft. Doch kaum ist das Chaos angerichtet, schlendert der Klavier-Triumphator gesenkten Hauptes die Rue Hornung hoch. Die Schultern scheinen nicht recht am Körper zu halten – der Blick geht ins Leere.
«Gehen wir in den Konzertsaal», murmelt er nach einer halben Begrüssung, um dann stumm durch die Gänge der Victoria Hall zu schleichen. Am Podium angelangt, legt er Noten auf den Flügel und setzt sich auf einen der Klappsitze im Parkett der prächtigen Konzerthalle, die für viele Künstler als Auftrittsort ein Traum bleibt.
Die Träume
«Wovon träumten Sie, Herr Trifonov, als Sie zehn Jahre alt waren?» Der 23-Jährige überlegt, lächelt gequält, überlegt wieder und sagt dann: «Ich träumte von Alexander Skrjabins Klavierkonzert.» Das Leuchten in seinen Augen unterstreicht den Wahrheitsgehalt der verrückten Worte. Und als er merkt, dass die Frage nicht nur auf seine Klavierkunst zielt, fügt er an: «Und klar, ich spielte oft Fussball und Eishockey, träumte auch davon.»
Doch Fragen nach seinen damaligen Fussballhelden würden wenig bringen. Mit neun Jahren gab es in Daniil Trifonovs Leben nämlich nur noch das Klavier. Seine Eltern hatten beschlossen, mit dem Sohn nach Moskau zu ziehen, damit er dort am legendären Gnessin-Institut studieren konnte. Als er siebzehn war, wechselte er nach Cleveland in die Kleinklasse von Sergei Babayan – einem Russen, in dessen Unterricht der Anzug Pflicht war. Russland vermisste er so sehr, dass er voller Nostalgie und Heimweh eine «Rachmaniana» komponierte.
Die Kinderjahre
Von den Kinderjahren im 500 Kilometer östlich von Moskau gelegenen Nizhny Novgorod will Trifonov trotzdem nicht viel erzählen. Zwar hat er die Geschichte mit dem Milchzahn gut drauf, er verlor ihn als Achtjähriger während eines Mozart-Klavierkonzertes. Doch nach den eingespielten verbalen Phrasen sagt er immer wieder: «Schwierig zu erklären.»
Der Ort Nizhny Novgorod war in sowjetischer Zeit nach dem proletarischen Schriftsteller Maxim Gorki benannt und wurde schlicht Gorki genannt. Zudem war die Stadt ab und zu «Tagesschau»-Thema, denn Atomphysiker Andrei Sacharow wurde dorthin verbannt. Doch die Sowjetunion gehört nicht zu Trifonovs Leben: «Wissen Sie, wann ich geboren wurde? Am 5. März 1991», sagt er gleich selbst. Allerdings, schiebt er nach, Nizhny Novgorod sei eine musikalische Stadt mit Konservatorium und Philharmonie.
Die Laufbahn
Erstaunlicherweise begann er seine Laufbahn als fünfjähriges Kind nicht mit Klaviergeklimper, sondern mit eigenen Kompositionen. Er eiferte damit seinem Vater nach, einem Kirchenmusiker. Wie schnell und wie weit es mit seinem Aufstieg als Pianist gehen würde, konnte sich damals weder der Vater noch der Sohn erträumen.
2010 gewann Trifonov den 3. Preis beim Chopin-Wettbewerb in Warschau, 2011 den 1. Preis beim Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv und beim Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau. Doch wer die Namen anderer Gewinner kennt, weiss genau: Wettbewerbszauberer sind noch lange keine Konzerthaustitanen.
Trifonov aber packte die Chance. Heute gibt er 100 Konzerte pro Jahr; die Deutsche Grammophon nahm ihn unter Vertrag. Womit sein grösstes Problem klar ist: Dem Künstler bleibt wegen der vielen Konzerte kaum Zeit, sich ein neues Repertoire anzueignen. Auf die Tourneen nimmt er jeweils ein kleines Keyboard mit. Kann er nicht am Klavier proben, dann komponiert er.
Komponieren, Reisen, Konzerte geben, CD-Aufnahmen, üben, ein Leben zwischen Cleveland und Moskau … Etwas gar viel? Er zuckt mit den Schultern, sagt: «Es ist einfach wichtig, dass ich mich nach den Konzerten erholen kann. Die emotionale Kraft muss immer neu aufgebaut werden.» Er sei ein sehr spontaner Künstler. «Ich kann heute nicht wissen, wie ich morgen spiele. Da gibt es bei mir viel Intuition, Spontaneität.» So müsste es sein, denkt man. Aber jedem Künstler ist klar, dass er die Kontrolle verlieren kann, wenn er sich zu sehr seinen Emotionen hingibt.
Notenwogen besiegen
Wer Trifonov öfters spielen hörte, wird die Aussage bestätigen. Dieser Pianist stürzt sich so spektakulär in Tschaikowskys 1. Klavierkonzert, dass er in den Notenwogen zu ertrinken scheint. Dann aber merkt man, wie mirakulös er sich von ihnen befreit, sie besiegt – und jubelnd triumphiert.
CDs
Trifonov: The Carnegie Recital (DG 2013).
Tschaikowsky: Klavierkonzert Nr. 1 (Mariinsky 2012).
Gergiev: Trifonov plays Chopin (Decca 2012).
Konzerte mit Daniil Trifonov
KKL Luzern
So, 31.8., 18.30
Daniil Trifonov, Mariinsky Orchestra
Leitung: Valery Gergiev
Verbier
So, 20.7, 19.00 (Soloabend)
Do, 24.7., 19.00 (Orchesterkonzert) beide im Salle Combins (Zelt)
Di, 29.7., 20.00 Duoabend mit Leonidas Kavakos (Kirche)
Verbier auf 3sat
Sa, 12.7., 20.15: Konzert des Pianisten Evgeny Kissin
Sa, 12.7., 21.10: Konzert mit dem Violinisten und Dirigenten Gabor Takacs-Nagy
Sa, 19.7., 20.15: Martha Argerich mit Verbier Festival Orchestra