kulturtipp: Frau Hardegger, ich nehme an, Sie tätigen Ihre Weihnachtseinkäufe im Warenhaus.
Judith Hardegger: Wir verzichten zwar in unserer Familie weitgehend auf Geschenke. Aber falls doch, warum nicht im Warenhaus?
Ich stelle mir auf der ersten Etage Ihres Warenhauses etwas Kunst vor, in der zweiten philosophische Erkenntnisse und zuoberst noch etwas Spiritualität.
Sie wollen sagen, unsere Sendung sei ein Gemischtwarenladen. Wobei ich die Abteilung Religion nicht auf die Spiritualität beschränken würde. Dazu kommen aber andere Abteilungen wie Diversity oder Liturgie. Und Musik.
Vielfältig oder auch beliebig ist Ihre Sendung. Oftmals kann man keinen Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilen erkennen. Da geht es in der gleichen Sendung um die kommerzialisierte Liebe und den DDR-Mauerbau. Pure Willkür?
Die «Sternstunden» – «Religion», «Philosophie» und «Kunst» – sind eigenständige Sendegefässe und müssen nicht zwingend thematisch aufeinander Bezug nehmen. Wir bemühen uns immer wieder, an einem Sonntag Sendungen mit einer ähnlichen Thematik auszustrahlen. Aber das geht nicht jede Woche, weil wir uns auch nach der Aktualität richten, wie eben mit dem Fall der Berliner Mauer.
Diese Mauer ist seit 25 Jahren weg, was soll da aktuell sein?
Also bitte, ich wundere mich, Herr Hürzeler. Alle Zeitungen beschäftigen sich mit dem Thema.
Das macht den Mauerfall nicht aktuell. Egal, wen wollen Sie mit einer derart breit gefächerten Sendung ansprechen?
Wie gesagt, es sind drei verschiedene Sendungen, und die haben ihr eigenes Publikum. Sicher gibt es auch Überschneidungen. Aber es kann nicht unser Anspruch sein, alle Kunstinteressierten auch für Religionsthemen zu begeistern.
Schaut denn überhaupt jemand am Sonntagmorgen Fernsehen oder wird das später am Computer nachgeholt?
Am Sonntagmorgen schauen viele Leute fern. Doch wir stellen fest, dass unsere Sendungen zunehmend zeitversetzt gesehen werden – sei das im Internet oder als Podcast.
Sie strahlen ja nicht exakt ein Jugendprogramm aus, dass man annehmen könnte, das Internet sei bei Ihren Zuschauern populär.
Internetkompetenz ist doch keine Frage des Alters.
Okay, aber Sie müssen sich immer wieder darum kümmern, neue jüngere Zuschauer zu gewinnen.
Das tun wir, indem wir uns um relevante Themen bemühen, die aktuell sind.
In der letzten Zeit habe ich wenig von Aktualität gespürt. Mit Ausnahme eines Interviews über Ebola gab es mehr Barock.
Ja, das war dem SRF Kultur-Schwerpunkt geschuldet, über den Sie ja ausführlich berichtet haben. Dennoch: Wir leuchten immer wieder Hintergründe zur Aktualität aus. Die «Sternstunden» wollen helfen, Orientierung zu finden im immer rasender werdenden Strom von Informationen und Neuigkeiten. Das kann auch ein jüngeres Publikum ansprechen. Wir wollen das vertiefen, was die Gesellschaft bewegt.
Zum Beispiel?
Etwa Fortpflanzungsmedizin, Rohstoffhandel oder Suizidbeihilfe im Alter.
Ah, dieses Gespräch zwischen einer Exit-Vertreterin und einem Palliativmediziner war zwar spannend. Aber dazu hätte es einen einführenden Filmbeitrag gebraucht.
Ja, wenn es denn einen geben würde …
… den gibt es bestimmt, wenn man sich darum bemüht.
Nennen Sie mir einen, der diese aktuelle Statutenänderung von Exit bezüglich Altersfreitod thematisiert.
Andere Gespräche sind nicht so interessant. Wenn der Publizist Philipp Tingler und der Philosoph Thomas Macho eine Stunde lang über Selbstinszenierung eiern, ist das ätzend.
Dafür war die Quote aber erstaunlich gut. Es mag Leute geben, die Ihre Einschätzung teilen, doch insgesamt war diese Diskussion gut, auch wenn es vielleicht nicht die beste «Sternstunde» aller Zeiten war.
Gewiss hätte man nach einer halben Stunde aufhören können.
Und dann die andere halbe Stunde Testbild senden? Zum Konzept der «Sternstunden» gehört, dass die Gespräche nicht geschnitten werden.
Man kann jede TV-Sendung kürzen, wenn sie langweilig ist. Oder ganz darauf verzichten, zum Beispiel auf diesen Dokumentarfilm, wo behauptet wird, Johann Sebastian Bachs Frau Anna Magdalena habe für ihn komponiert – ohne irgendeinen handfesten Beweis.
Die Beweislage hat mich auch nicht ganz überzeugt, aber das ist ja schon mal ein Resultat. Ich finde, man kann einen so ungewöhnlichen Ansatz im Rahmen eines Barock-Schwerpunktes sehr wohl zeigen, zumal der Film viele musikwissenschaftliche Themen anschnitt.
Die «Sternstunden» wurden neu organisiert, unter anderem haben Sie die Religion ausgelagert.
Nein. Neu ist, dass die Gottesdienste unter eigenem Etikett und nicht mehr innerhalb des Labels «Sternstunde Religion» laufen. Damit wird die Trennung zwischen rein redaktionell verantworteten Sendungen und Sendungen, die in Kooperation mit den Kirchen entstehen, für das Publikum deutlicher erkennbar.
Wir haben ja eine weitgehende Trennung zwischen Kirche und Staat, aber das ist noch nicht bis zu Ihnen durchgedrungen. Sie könnten ja auch mit Jagd- oder Jassvereinen zusammenarbeiten.
Diese Kooperation haben nicht die «Sternstunden» mit den Kirchen getroffen, sondern SRF. Gottesdienste und das «Wort zum Sonntag» gehören zum Service public. SRF erachtet die Kirchen als gesellschaftliche Instanzen, die wichtig genug sind, um mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die Kirchen besitzen aber so wenig wie andere Institutionen einen Anspruch auf Sendezeit.
Sie haben auch die Moderation mit Bernard Senn abgeschafft, das ist bei den Zuschauern gar nicht gut angekommen.
Sie meinen, das ist bei einigen Ihrer Leser nicht gut angekommen. Unsere Zuschauerzahlen haben sich nicht verändert.
Und jetzt haben Sie mit Stephan Klapproth einen Moderator par excellence geholt.
Halt, halt, das hat nichts miteinander zu tun. Bernard Senns Ansagen und Zwischenmoderationen gibt es nicht mehr. Stephan Klapproth wird Gesprächsleiter für die «Sternstunde Philosophie», das sind zwei völlig verschiedene Dinge.
Warum eigentlich keine Ansage mehr?
Das ist nicht mehr zeitgemäss, die «Sternstunden» kommen so frischer herüber. Zudem gelingt der Diskussionseinstieg viel besser, wenn die Gesprächsleiterinnen und Gesprächsleiter direkt in das Thema einführen und ihre Gäste vorstellen.
Sie haben katholische Theologie studiert – ist das ein Glaubensbekenntnis oder ein Forschungsgegenstand?
Dieses Studium ist so wissenschaftlich wie jedes geisteswissenschaftliche Studium. Man kann katholische Theologie studieren, ohne katholisch zu sein, und muss auch in keiner Prüfung ein Glaubensbekenntnis ablegen.
Aber Sie tragen mit Judith einen sehr katholischen Vornamen, haben Sie etwas mit der biblischen Judith gemeinsam?
Also, nicht dass ich den Männern den Kopf abschlagen würde, wie das Judith mit Holofernes getan hat. Aber ich kann sehr entschieden auftreten. Das stimmt.
Judith Hardegger
Die Redaktionsleiterin der «Sternstunden» auf SRF hat in katholischer Theologie promoviert. Sie war unter anderem als Redaktorin für das Zürcher Pfarrblatt «Forum» tätig und kam vor sechs Jahren zum Fernsehen. Vor einem Jahr hat sie die Leitung der «Sternstunden» übernommen.