kulturtipp: Frau Gysi, sind Sie eine wandelnde Sparmassnahme?
Barbara Gysi: Wie kommen Sie darauf?
Sie übernehmen zu Ihrer bisherigen Funktion als Leiterin des Bereichs Musik auch die Programmleitung von Radio SRF 2 Kultur.
Genau, zwei Bereiche und damit zwei Funktionen werden zusammengelegt, das ist der Sparanteil an mir.
Jetzt arbeiten Sie von morgens 6 bis abends 10 Uhr und kommen nicht mehr zum Schlafen?
Nicht ganz, aber wenn man eine neue Funktion übernimmt, bedeutet das einen Mehraufwand. Ich bin jetzt zusätzlich verantwortlich für die publizistische Leitung von Radio SRF 2 Kultur. Da mir die Musik sehr am Herzen liegt, bin ich froh, den Bereich weiterhin führen zu dürfen.
Wenn bei Radio SRF 2 Kultur eine neue Leitung kommt, wird alles anders. Jetzt schon wieder?
Es wird nicht alles anders. Wir haben jedoch Sparvorgaben, die wir erfüllen müssen. Aber es soll möglichst wenige Einschnitte im Programm geben. Wir müssen Abläufe straffen und wollen sparen, ohne Leute zu entlassen.
Sie müssen Personal reduzieren.
Radio SRF 2 Kultur hat weniger Stellenprozente zur Verfügung. Entlassungen soll es wenn möglich nicht geben. Wir haben schon in der letzten Zeit nur noch die wenigsten frei gewordenen Stellen besetzt. Dabei helfen interne Umlagerungen. Einzelne Leute haben ihr Pensum reduziert oder zusätzliche Aufgaben übernommen.
Sie sind nun Medienmanagerin und nicht mehr Programmmitarbeiterin.
Das eine schliesst das andere nicht aus.
Was kann der Hörer von Radio SRF 2 Kultur künftig mehr oder anders erwarten?
Ich habe mit der Arbeit erst gerade angefangen, darum kann ich das nicht sagen. Aber es wird zu Veränderungen kommen, das ist sicher.
Zum Beispiel könnten Sie versucht sein, die einstündige Sendung «Kontext» zu kürzen?
Das ist nicht geplant.
Ein ewiger Streitpunkt ist der Morgen. Zuerst änderte man das Programm radikal mit vielen Wortbeiträgen, dann justierte man es ein bisschen. Drehen Sie jetzt das Rad zurück?
Nein, die Veränderungen am Morgen waren erfolgreich, und darum bleiben wir auf Kurs. Aber wir entwickeln das Programm laufend weiter im Sinn eines modernen Kulturradios. Wir bauen die beliebteste Hörerzeit am Morgen aus und bringen mehr Kulturaktualität.
Und viele Trailers …
… genau hier haben wir das Programm justiert und sind zurückhaltender geworden. Wir sind ja gegenüber Reaktionen der Zuhörer nicht resistent …
… doch ziemlich …
… nein, wir haben diese Reaktionen ernst genommen. Aber wir haben nicht gleich das ganze Konzept über Bord geworfen, sondern einzelne Korrekturen angebracht.
«Modernes Kulturradio» ist ein Schlagwort.
Für mich bedeutet das die Grundversorgung mit Kultur am Radio. Wir müssen uns laufend überlegen, um welche Zeit bringen wir welche Themen, zum Beispiel am Morgen. Da haben Werktätige keine Zeit, lange Radio zu hören. Deshalb führten wir kurze Kulturinformationen ein, die sogenannten «Häppchen». Das sind für mich relevante Informationen, die wir später am Tag in der Sendung «Kultur kompakt» zusammenführen und die auch als Podcasts zu hören sind. Daneben haben wir zahlreiche wertvolle Sendungen in den Bereichen Musik, Wissenschaft, Religion, Literatur und auch Hörspiele.
Sie haben am Morgen gar nicht so viele werktätige Hörer, sondern vor allem Pensionierte.
Stellen Sie sich vor, unsere Hörerinnen und Hörer sitzen in Pantoffeln vor dem Radio und hören zu? Auch viele Pensionierte sind aktiv und haben am Morgen nur beschränkt Zeit. Ich meine mit Werktätigen nicht nur die arbeitende Bevölkerung, sondern alle aktiven Leute.
Wer mehr klassische Musik hören will, muss auf Swiss Classic wechseln, hat es bist jetzt immer geheissen, ist das eine Bankrotterklärung?
Da bringen Sie mich in ein Dilemma, denn ich bin auch für Radio Swiss Classic zuständig. Darum will ich das eine nicht gegen das andere ausspielen. Entscheidend ist, was jemand will – kulturelle und politische Nachrichten oder ein Musikprogramm, das man als Begleitprogramm hört. Beide Sender sind wichtig und richten sich an ganz unterschiedliche Zielpublika.
Sie sind nun Leiterin von vier Programmen, Radio SRF 2 Kultur, Radio Swiss Classic, Swiss Pop und Swiss Jazz. Eine naheliegende Sparmassnahme wäre es, eines dieser Programme einzustellen.
Das steht im Augenblick nicht zur Diskussion.
Der Marktanteil sämtlicher SRF-Radiosender ist seit Jahren etwa konstant. Wenn Sie etwas mehr Hörer erreichen, nehmen Sie diese einer anderen SRF-Kette weg. Was haben Sie denn davon?
Ich glaube nicht, dass die Senderketten einander kannibalisieren. Es gibt ja Hörer von Radio SRF 2 Kultur, die auf ausländische Stationen wie Bayern Klassik ausgewichen sind. Die wollen wir zurückholen. Und wir wollen neue Hörerinnen und Hörer dazugewinnen.
Wie machen Sie das?
Wir müssen das Gesamtangebot von SRF 2 Kultur bekannter machen. Viele kennen unsere Sendungen nicht. Es gibt so viele tolle Formate, die wir im Programm haben, beispielsweise die «Perspektiven» am Sonntagmorgen, Konzertübertragungen oder Sendungen mit zeitgenössischer Musik. Wir haben Sendungen wie «Musik für einen Gast», die über 100 000 Hörer erreichen, aber davon redet keiner.
Oft sagen die SRF-Leute dann noch, 100 000 vor dem Radioapparat sind mehr, als bei einem Fussballspiel im Stadion sitzen.
Beim Fussball kann ich nicht mitreden, 100 000 Zuhörerinnen und -hörer sind in jedem Fall eine stolze Zahl.
Das Musikprofil von SRF 2 Kultur hat sich verändert, zum Beispiel gibt es jetzt mehr World. Bauen Sie dieses Angebot aus, oder besinnen Sie sich aufs Kerngeschäft Klassik?
Die Klassik steht für uns weiterhin im Vordergrund. Im Tagesprogramm von 6 bis 16 Uhr ist vor allem klassische Musik zu hören. Aber wir versuchen am Vorabend von 16 bis 18 Uhr, mit dem Musikprofil auch ein anderes Publikum zu erreichen. Das braucht Zeit.
Wie soll dieses Publikum aussehen?
Ich lasse mich nicht auf ein Alterssegment festlegen.
Wie sieht denn Ihr Lieblingshörer aus?
Sie oder er ist neugierig und offen für das Kulturgeschehen. Es gibt Generationen von Leuten, die nicht einfach nur mit Klassik oder mit Pop aufgewachsen sind – sondern ein breites musikalisches Interesse haben. Dafür haben wir Sendungen wie «Musik unserer Zeit» und «Musik der Welt».
Haben Sie Zielvorgaben, wie viele Marktanteile Sie gewinnen müssen?
Nein.
Dann können Sie ja machen, was Sie wollen.
Stellen Sie sich meine Arbeit so vor? Wir müssen realistisch sein und sind stolz darauf, dass wir den Marktanteil stabilisieren konnten.
Der Marktanteil von SRF 2 Kultur ist mit 4 Prozent klein, und die wenigen Zuhörer, die Sie haben, verärgerten Sie in den letzten zwei Jahren. Wie wollen Sie aus diesem Ghetto rauskommen?
Eine kleine Minderheit der Hörerinnen und Hörer wurde durch den Relaunch verärgert. Wir haben diese Reklamationen aufgegriffen und Etliches angepasst. Zudem vertraue ich darauf, dass auch unsere Stammhörerinnen und -hörer Verständnis dafür haben, dass wir unser Programm weiterentwickeln müssen. In der Zwischenzeit sind die Zahlen stabil, was im Vergleich mit anderen Kulturradios im Ausland ein Erfolg ist.
Barbara Gysi
Die Musikwissenschaftlerin Barbara Gysi leitet neu das Programm von Schweizer Radio SRF 2 Kultur. Die 52-Jährige ist seit 2011 für das Musikprofil des Senders zuständig. Davor arbeitete sie in verschiedenen Funktionen fürs Radio, unter anderem in der Abteilung Information. Barbara Gysi ist nun auch für die Senderketten Radio Swiss Classic, Radio Swiss Jazz und Radio Swiss Pop sowie die Fernsehredaktion Musik und Events verantwortlich.