Ernst und ruhig sagt Simone Rubino: «Ich möchte, dass die Leute weinen, wenn ich Schlagzeug spiele.» Und jeder, der ihn noch nie gehört hat, denkt: «Träum weiter!» Wer dann aber beobachten darf, wie der 23-jährige Musiker die verschiedenen Schlagwerke, die Kleine Trommel, aber auch Marimba- und Vibrafon überblickt, bearbeitet, bespielt und liebkost, erkennt, dass der Italiener aus seinem Schlag-Orchester alle nur möglichen Klangfarben entlockt. Darauf angesprochen, beginnen seine Augen zu leuchten: «Mir geht es um das Schaffen von Farben – leider verbindet man genau das nicht mit dem Schlagzeug. Aber wir Perkussionisten haben so viele Instrumente mit verschiedenen Materialien vor uns – aus Holz, Metall, Fell oder Glas. Mit denen ist es möglich, verschiedene Farben zu schaffen!» Diesem Plädoyer fügt er leise bei, so, als bediene er noch rasch den Triangel: «Wenn sie einer wirklich zeigen kann. Das ist nicht ganz einfach.»
Alles auf eine Karte
Simone Rubino kann das. Als er eine Stunde nach dem Gespräch in der Probe mit dem Georgischen Kammerorchester Ingolstadt das Percussions-Konzert des 1975 geborenen Avner Dormans spielt, ist auch manch einer im Orchester verblüfft. Unheimlich, wie vielfältig und feinfühlig Rubinos Klangerzeugung ist.
Diesen erstaunlichen Musiker ehrt das Lucerne Festival nun zu Recht mit dem Crédit Suisse Young Artist Award. Rubino darf sich dabei in eine Reihe mit Charakterköpfen wie der Geigerin Patricia Kopatchinskaja oder der Cellistin Sol Gabetta stellen. Aber seine Auszeichnung ist kein Zufall, das Schlagzeug blüht in diesen Jahren prächtig auf. Rubino gewann 2014 bereits den überaus renommierten ARD-Musikwettbewerb. Es war der Wendepunkt auf seinem Lebensweg, hatte er doch alles auf eine einzige Karte gesetzt.
Kraft, zu kämpfen
Als junger Orchestermusiker sass er im Operngraben, wartete in «Madama Butterfly» auf den Schlag des Triangels, erkannte: «Hier kann ich nicht zeigen, wer ich bin.» Er wollte Solist werden, sein verstorbener Lehrer Peter Sadlo hatte ihm die Kraft gegeben, dafür zu kämpfen. Und heute bringt er das Publikum zum Staunen.
Rubino mag dieses Staunen überhaupt nicht, er will mehr als verblüffen, er möchte, dass die Leute wissen, was ein Schlagzeuger kann. «Wir müssen den Konzertveranstaltern beibringen, dass es normal ist, Schlagzeuger zu engagieren. Es gibt Komponisten, die für uns Werke schreiben – genauso wie einst Paganini für die Geige. Und deswegen ist es wichtig, dass es viele Kollegen gibt. Nur dann werden wir in 100 Jahren ein genauso grosses Repertoire haben wie heute die Geiger.»
Schlag auf Schlag
Rubino erkennt, dass seine Zeit gekommen ist, und verweist auf die Natürlichkeit seiner Musik: «Geben Sie einem Kind eine Trommel, und es wird stundenlang schlagen. Rhythmus ist in uns, ist ein Instinkt, etwas Natürliches, unser Körper hat einen Rhythmus. Es gibt kein geeigneteres Instrument, um die Leute an Neuer Musik fasziniert teilhaben zu lassen. Wir Schlagzeuger sind ein Motor der Neuen Musik.» Um euphorisch zu werden, ist es zu früh. Die Wiener Philharmoniker treten in Luzern erst zum zweiten Mal mit einem Schlagzeuger auf. Die Berliner Philharmoniker übrigens spielten noch nie ein Schlagzeug-Konzert. Aber kommt Zeit, kommt Schlag.
Simone Rubino und Wiener Philharmoniker
Fr, 9.9., 19.30 KKL Luzern
www.lucernefestival.ch
Martin Grubinger in Zürich
Fast überall, wo Simone Rubino auftritt, ist Martin Grubinger bereits gewesen. Fast jedes Werk, das der Italiener angeht, hat der Österreicher schon gespielt, wenn nicht gar uraufgeführt. Rubino nimmt das gelassen, bewundert den Kollegen durchaus, ist sich seiner eigenen Qualitäten aber sehr bewusst: «Martin machte das grossartig, er hat viele neue Stücke angestossen, es wurde viel komponiert für ihn. Aber jetzt kommt meine Zeit.» Trotz Vorreitern wie Peter Sadlo (1962–2016) oder Evelyn Glennie (*1965) war es der heute 33-jährige Martin Grubinger, der in den letzten zehn Jahren das Schlagzeug in alle grossen Konzertsäle Europas brachte – auch ans Lucerne Festival. Im August 2013 blickte das Publikum erst skeptisch auf die Bühne, zum Schluss der Grubinger-Show herrschte ein Jubel, wie man ihn in Luzern nur ganz selten erlebt hatte. Grubinger wird diese Saison Artist in Residence beim Tonhalle-Orchester Zürich sein, durch seine Auftritte wird wohl auch der verträumteste Zürcher Abonnent aus seinem Mozartschlummer gerissen werden.
Konzerte
Mi, 14.9., Do, 15.9. & So, 18.9., jew. 19.30 Tonhalle Zürich
Weitere Konzerte: Sa, 17.12. & Sa, 21.1.
www.tonhalle-orchester.ch