kulturtipp: Nathalie Wappler, der «Kulturplatz» von Fernsehen SRF 1 behandelt neuerdings Themen wie Fussball oder Skisport. Was verstehen Sie unter Kultur?
Nathalie Wappler: Kultur ist ein vielfältiger Begriff; es gibt zum Beispiel eine Kultur des Fussballs.
Sie sind aber Kulturchefin von SRF und nicht Leiterin der Abteilung Sport.
Fussball kann in einem spielerischen Sinn kulturell bedeutungsvoll sein. Spielzüge lassen sich auch philosophisch auslegen.
Ich verstehe. Jedes Velorennen ist kulturell wertvoll, wenn die Fahrer kunstvoll genug gedopt sind.
Das scheint mir nun doch zu pointiert ausgedrückt. Aber ich weiss, worauf Sie hinaus wollen. Bei Thomas von Aquin gab es im 13. Jahrhundert noch die Vorstellung der Welt des Nützlichen einerseits und des Schönen, Wahren und Guten anderseits. Wir sehen das nicht mehr ganz so bildungsbürgerlich, sondern verstehen Kultur als generell Sinn stiftend. Das heisst, auf der Theaterbühne kann auch Sport stattfinden, wie es zum Beispiel Elfriede Jelinek mit «Sportstück» gezeigt hat.
Sehr schön gesagt.
Und jetzt geht es darum: Wie macht man ein Radio- und Fernsehprogramm daraus? Wir richten uns nach unterschiedlichen Kulturkategorien, die ein breites Spektrum abdecken. Dazu gehören Gottesdienstübertragungen ebenso wie Filmproduktionen, Konzertmitschnitte oder Hörspiele. Wir wollen möglichst vielfältig sein, um die unterschiedlichen Bedürfnisse des Publikums nach Kultur abzudecken. Das Publikum soll seinen Spass haben und auf vielfältige Weise angeregt werden. Aber das allein reicht nicht …
Sondern?
Jeder Kulturinteressierte hat je nach Stimmung und Laune unterschiedliche Bedürfnisse. Mal will man die «Sternstunde Philosophie», ein andermal lieber einen Spielfilm sehen.
Kurz: Möglichst viele Leute sollen Ihre Programme sehen, damit die Quote stimmt.
Nicht nur, wir haben auch andere Aufgaben. So sind wir Kulturförderer, indem wir zum Beispiel Filmproduktionen unterstützen. In der Konzession ist ja Musik-, Literatur- und Filmförderung festgeschrieben. Wir haben einen zweifachen Auftrag, wir wollen möglichst viele Leute erreichen, aber auch Kultur fördern.
Kennen Sie so was wie ein Zielpublikum?
Ja, alle Leute. Wenn Sie auf der Strasse die Leute fragen, ob sie kulturell interessiert sind, sagen fast alle: Ja. Der Begriff Kultur ist so vielfältig wie Service public.
Überhaupt nicht, der Begriff Service public ist absolut klar: Eine nicht-kommerzielle Dienstleistung. Wie wollen Sie sich von der privaten Radio- und TV-Konkurrenz abheben, die keinen Service public leisten muss?
Wir haben in unserem Bereich gar nicht so viel private Konkurrenz.
Ach was, mit Ihrem weiten Kulturbegriff haben Sie sehr viel private Konkurrenz. Denken wir an Serien, Fernseh- und Spielfilme.
Gerade bei den Serien setzen wir auf europäische Qualität. Dazu gehört beispielsweise die dänische Serie «Borgen» über politische Machenschaften. Nach den Sommerferien werden wir «Real Humans» zeigen, eine schwedische Serie über künstliche Menschen, die aktuell bei Arte zu sehen ist. Das gibt uns wiederum Gelegenheit, einen Programmschwerpunkt zum Thema «Mensch und Maschine» in anderen Sendungen zu setzen. Wir setzen auch Schweizer Schwerpunkte, zum Beispiel einen Film über Paul Grüninger.
Die Idee ist nicht ganz taufrisch.
Nein, aber wir fiktionalisieren die Figur Grüninger erstmals in Form eines Spielfilms.
Sie sind Kulturchefin von Radio- und Fernseh-Sendungen. Was hat das Publikum davon, dass diese Bereiche zusammengelegt wurden?
Ein attraktives Programm. Aber das Publikum muss ja nicht merken, dass alles unter einer Leitung steht. Das Publikum soll Freude, Anregung und auch Erkenntnisgewinn an den Programmen haben. Ein konkretes Ergebnis ist beispielsweise unsere Kulturplattform auf dem Internet. Dort werden die TV- und Radio-Sendungen zusammengeführt und man findet zusätzliches Material dazu.
Konkret wissen die Zuschauer und Zuhörer nicht einmal mehr, was sie unter SRF verstehen sollen – Radio oder Fernsehen?
Wie das Kürzel sagt: Schweizer Radio und Fernsehen. Die Radiohörer profitierten übrigens am meisten von der jüngsten Entwicklung dank der Zusatzleistungen, die Nutzer auf dem Netz finden. Die Radionutzung hat dank der Kulturplattform im Internet zugenommen.
Macht Ihnen das Fernsehen eigentlich mehr Freude als das Radio?
Nein, wieso?
Weil Sie mit Ihren TV-Programmen grösseren Erfolg haben als mit Radio SRF 2 Kultur. Wir denken zum Beispiel an die zweite Staffel der Serie «Der Bestatter» mit Mike Müller, die diesen Sommer gedreht wird.
SRF 2 Kultur macht mir ebenso viel Freude. Ich stehe am Morgen mit diesem Sender auf und höre während des Joggens Radiosendungen als Podcasts. Aber es ist natürlich erfreulich, dass wir die Krimiserie «Der Bestatter» verlängern können. Diese beiden Dinge lassen sich nicht vergleichen. Es ist für mich ein grosses Privileg, das Programm eines Kulturradios wie auch TV-Kultursendungen mitgestalten zu dürfen.
Eine SRF-Serie gab es seit Jahren nicht mehr. Da muss Sie der Erfolg mit «Der Bestatter» doch besonders freuen.
Ja, natürlich, besonders weil in einer solchen Serie auch sehr viel Kultur drin steckt.
Zum Radio: Welche Erfahrungen haben Sie bis jetzt mit dem neuen Programm von SRF 2 Kultur gemacht?
Gute. Wir haben immer mehr positive Zuschriften. Es freut die Hörerschaft, dass sie bei SRF 2 Kultur vor Arbeitsbeginn so gut informiert wird, auch mit Kulturinformationen. Aber es stimmt: Es gibt andere, die das Radio wegen der Musik und weniger wegen der Informationen einschalten. Doch diese Musikhörer können ein weiteres Angebot von SRF Kultur nutzen: Radio Swiss Classic.
Warum soll man Nachrichten bei SRF 2 Kultur hören? Dafür hat man ja SRF 1 und den Nachrichtensender SRF 4 News.
Wir erbringen mehr journalistische Kulturleistung bei SRF 2.
Darum geht es nicht. Es geht um die halbstündliche Wiederholung der Nachrichten, welche die Hörer nervt.
Wir haben eine Entscheidung in dieser Sache gefällt und bleiben dabei. Natürlich justieren wir das Programm laufend sanft. Dieser Entscheid beruht auf Publikumsbefragungen mit verschiedenen Publikumskategorien; darunter hatte es beispielsweise Stammhörer, aber auch Gelegenheitshörer. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Leute wünschen eine Kombination von Musik und Information. Sie mögen es, wenn der Sender sie mit kulturellen Informationen in den Arbeitstag hinein begleitet. Auch die aktuellen Hörerreaktionen belegen diesen Befund.
Seltsamerweise kriegt der kulturtipp fast nur negative Reaktionen.
Natürlich gibt es Leute, die nur klassische Musik am Morgen hören wollen. Ihnen empfehlen wir, auf Radio Swiss Classic umzusteigen.
Das wollen die nicht, weil sie dort nur Häppchen zu hören bekommen. Viele Hörer wollen die alte «Mattinata» zurück.
Nein, Swiss Classic liefert keine Häppchen, sondern lange Musikstücke, und die sollen bleiben.
Nochmals: Der kulturtipp erhält fast ausschliesslich kritische Reaktionen auf das neue Programm von SRF 2 Kultur. Sie erhalten offenbar nur positive. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?
Wir bekommen teilweise auch kritische Reaktionen. Die nehmen wir ernst und wollen das «Mattinata»-Publikum behalten. Das alte Programm hatte eine Struktur, die jahrelang nicht verändert wurde. Nun fällt es vielen Hörerinnen und Hörern verständlicherweise schwer, sich von Gewohnheiten zu trennen. Aber das wird sich mit der Zeit ergeben. Wir hatten im Monat Februar eine Verlängerung der Hördauer um 9 Minuten bei SRF 2 Kultur und erreichen rund 380 000 Zuhörer.
Nachdem die Hördauer zuvor wochenlang zurückging.
Nein, jahrelang. Die ist schon lange rückläufig. Darum mussten wir etwas unternehmen.
Wenn viele Hörer auf Bayern 4 umschalten, heisst das doch, dass sie zwar lernbereit, aber unzufrieden sind.
Bayern 4 hat ein ganz anderes Profil als SRF 2 Kultur. Das ist ein klassischer Musiksender. Wir sind eher mit Bayern 2 vergleichbar, einem modernen Kulturprogramm. Der Bayerische Rundfunk hat halt viel mehr Geld als wir und kann sich zwei Radioprogramme in diesem Bereich leisten.
In Kreuzlingen aufgewachsen, studierte Nathalie Wappler (45) in Konstanz Geschichte, Politik und Germanistik. Sie war Chefin vom Dienst beim 3sat-Magazin «Kulturzeit» und Redaktorin beim ZDF-Kulturmagazin «Aspekte» und beim Polittalk «Maybrit Illner». Beim Schweizer Fernsehen SF leitete sie die sonntägliche Kultursendung «Sternstunden». Seit zwei Jahren ist sie Kulturchefin von Schweizer Radio und Fernsehen SRF.