«Wir bieten dem Untergang die Stirn»
Der Aargauer Dirigent Cristoforo Spagnuolo leitet die Wettinger Kammerkonzerte: Der originelle Querdenker vermeidet Spasskonzerte und passt sich nicht dem netten Zeitgeist an.
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Kulturtipp 24/2016
Christian Berzins
Das braucht Mut abseits des grossen Kulturbetriebs.Welcher Konzertveranstalter ausserhalb eines musikalischen Zentrums kann sich bei einer Kammermusikreihe «68. Zyklus» auf die Fahne schreiben? Kaufen können sich die Wettinger Kammerkonzerte – kurz W:KK – damit allerdings nichts. Denn was bedeutet schon «Tradition» oder «lokale Identität», wo ein rasch skizzierter Crossover-Konzertevent in der Nachbarstadt Baden meh...
Das braucht Mut abseits des grossen Kulturbetriebs.Welcher Konzertveranstalter ausserhalb eines musikalischen Zentrums kann sich bei einer Kammermusikreihe «68. Zyklus» auf die Fahne schreiben? Kaufen können sich die Wettinger Kammerkonzerte – kurz W:KK – damit allerdings nichts. Denn was bedeutet schon «Tradition» oder «lokale Identität», wo ein rasch skizzierter Crossover-Konzertevent in der Nachbarstadt Baden mehr Aufmerksamkeit generiert als ein sorgfältig gestaltetes Kammermusik-Programm am Rande Wettingens?
Von den einst 200 «W:KK»- Abonnenten sind knapp 100 übrig geblieben. Die Einnahmen, welche die halbe Miete deckten, sind um die Hälfte geschrumpft. «Viele Abonnenten sind alt und fallen weg. Jetzt kämpfen wir bei jedem Konzert um jeden Platz», sagt Cristoforo Spagnuolo. Aber der W:KK-Leiter tut das ruhig entschlossen mit einem Schuss Sarkasmus: «Wir bieten dem Untergang die Stirn», fügt er an und lächelt dabei.
Spagnuolo will trotz schwindender Stammgäste und sinkender finanzieller Zuwendung nicht das Klagelied des Kulturuntergangs anstimmen. Nur dank freundschaftlichen Banden sei es möglich, nach wie vor ganz grosse und teure Namen in Wettingen zu erleben wie etwa den Cellisten Nicolas Altstaedt oder die Sopranistin Norma Fantini diese Saison.
Das ist Spagnuolo nicht egal, aber er macht weiter, lobt seinen neuen jungen Geschäftsführer Daniel Pérez, der frischen Wind bringe und ihm die Augen für unternehmerische Dinge öffne. «Ich bin ja nur für die inhaltlichen Träume angestellt.»
Diese Träume haben es in sich, da sich Spagnuolo treu bleibt. «Zu den Sternen» hiess sein erstes Saisonthema vor vier Jahren bei seinem Start, dorthin ist er immer noch unterwegs: Er hat vier Saisons lang sein Konzept durchgezogen, machte keine Spass-Konzerte, passte sich nicht dem netten Zeitgeist an: «Wir bieten etwas an, das generell im Kulturbetrieb am Aussterben ist: gehaltvolle Kammermusik, nicht Crossover-Projekte. Ich will lieber gute Gespräche über Musik anstatt eine Party nach dem Konzert. Wir biedern uns nicht mit bekömmlichen Programmen an: Die W:KK richten sich an Kenner, Liebhaber und Angefressene. Durchaus in der Hoffnung, dass es davon immer noch ein paar gibt.»
Telemann, Beethoven und Belcanto
Cristoforo Spagnuolo hat den Mut, sein Jahresprogramm «B.» zu nennen … Das Konzert «Telemann in Buenos Aires» hat darin jedenfalls Platz – und hier trifft mit Maddalena Del Gobbo die italienische Viola da Gamba auf den argentinischen Bandoneonisten Luciano Jungman. Der Belcanto gehört genauso zu «B.» wie Beethoven.
Das anspruchsvolle Jahresprogramm zeigt, dass Spagnuolo seinem Publikum vertraut – und er mutet ihm einiges zu. Immer wieder kombiniert er die Meilensteine des Repertoires mit «Schmankerl», wie er es nennt: Das sind Repertoire-Trouvaillen und Ausgrabungen, ja, bisweilen nahrhaftes Klassikbrot, an dem man kauen muss. Von jenen Leuten, die nach Wettingen kommen, erntet er dafür aber viel Zuspruch, auch wenn darüber viel diskutiert wird. Spagnuolo schafft es immer wieder, Künstler zusammenzuführen, die sich sonst nie treffen würden. Zudem wird er nicht müde, neue Begegnungen mit redegewandten Menschen zu suchen und diese aufs Podium zu bringen: mal eine Lokalpolitikerin, mal einen Schriftsteller, mal einen Musiker. Er träumt davon, diese Gespräche direkt ins Konzert zu integrieren.
Konzert
Telemann in Buenos Aires
Italienische Viola da Gamba trifft auf argentinischen Bandoneonisten
Fr, 18.11., 19.30
Aula Kloster Wettingen AG