«Liebe reicht nicht, um jemanden zu retten.» Das sagt die Anstaltsleiterin zu Diane, als diese ihren Sohn Steve im Heim für Schwererziehbare abholt. Der 15-Jährige ist hyperaktiv, gewalttätig, hat soeben die Kantine abgefackelt und dabei einen kleinen Jungen schwer verletzt – die Betreuer sind mit ihrem Latein am Ende. Doch Diane glaubt an ihren Sohn und nimmt ihn wieder bei sich auf.
Diane ist eine kämpferische Löwenmutter par excellence. Steve treibt sie mit seinen extremen Ausbrüchen zum Äussersten, und dennoch gibt sie ihn nicht auf. Unerwartete Hilfe bekommt sie von ihrer Nachbarin Kyla. Die ehemalige Lehrerin, die wegen eines Burnouts krankgeschrieben ist, kann zu Steve eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen.
Xavier Dolans fünfter Spielfilm ist aber alles andere als pädagogisch verstaubt. Mutter und Sohn bewegen sich in einem ärmlichen Milieu in Kanada und pflegen einen rauen Umgangston. Diane entspricht in ihrer sexy Aufmachung und ihrer schnoddrigen Ausdrucksweise gar nicht dem Klischeebild einer liebenden Mutter, kann aber umso besser mit den Wechselgefühlen ihres Sohnes umgehen. Über den kleinen Jungen, den ihr Sohn bei seiner Brandstiftung verletzt hatte, sagt sie abgebrüht zur Anstaltsleiterin: «Ist das jetzt ein Heiliger? Stellt ihm doch eine Statue auf!»
Stets bewegen sich Mutter und Sohn im Umgang miteinander auf einem schmalen Grat zwischen Brutalität und Zärtlichkeit. «Sie singen, sind vulgär, aber auch schlau und überaus empfindsam. Ich bewundere sie», sagte der 25-jährige kanadische Regisseur Xavier Dolan im «Spiegel» über seine Figuren.
Fokus aufs Innenleben
Dolan hat sich schon im Film «I Killed My Mother» mit der Mutter-Sohn-Thematik beschäftigt. Nun liefert das gefeierte Multitalent ein weiteres Mal ein Drama, das unter die Haut geht. In Cannes wurde es bereits mit dem Jury-Preis ausgezeichnet. Als Kontrast zum düsteren Thema arbeitet er mit hellen, warmen Farben. Eine Besonderheit ist das quadratische Kinoformat, mit dem er den Blick der Zuschauer ganz auf die drei Hauptfiguren richtet. Das Innenleben der Protagonisten erscheint in diesem eingeschränkten Blickfeld greifbarer und intensiver.
Zuweilen wirkt dieser kleine Kosmos, der etwa den Kollegenkreis des 15-Jährigen ausblendet, zwar etwas konstruiert. Darüber sowie über einige Längen im Film lässt sich aber hinwegsehen, denn die visuelle Umsetzung und die Schauspielkunst überzeugen: Antoine Olivier Pilon als stets kurz vor der Explosion stehender, zwischen Euphorie und Verzweiflung schwankender Teenager. Anne Dorval als resolute und gleichzeitig verletzliche Mutter. Und Suzanne Clément als stotternde, gehemmte Nachbarin Kyla, die durch die beiden Unbezähmbaren ein Stück Lebensmut zurückgewinnt.
Mommy
Regie: Xavier Dolan
Ab Do, 25.12., im Kino