Im Film «Padre Padrone» beschreiben die Taviani-Brüder eine harte, raue Welt in den Bergen Sardiniens. Ein Mann spricht am Anfang in die Kamera. Es ist Gavino Ledda, der Schriftsteller des gleichnamigen autobiografischen Romans, den die Gebrüder Taviani 1977 für die Leinwand frei adaptiert haben. Ledda kommentiert die Szene, in der sein Vater Efisio – im Film gespielt von Omero Antonutti – in die Schule kommt, um den damals sechsjährigen Gavino abzuholen. Sein Sohn müsse arbeiten, die Schafe hüten. Viele Jahre wird Gavino Ledda unter den Züchtigungen seines Vaters (padre) und Herrn (padrone) zu leiden haben. Und auch später muss er alleine bestehen. Denn darum geht es in diesem Film: um mangelnde Bildung, um den Ausbruch aus den strengen Lebensumständen, um Befreiung. Noch ist vieles archaisch-roh und von Gewalt geprägt.
Eines Tages tauscht der erwachsene Schäfer Gavino von vorbeikommenden Musikanten ein Klavier-Akkordeon gegen zwei Schafe ein. Auf dem Instrument lernt er, eine Walzer-Melodie aus der «Fledermaus»-Operette von Johann Strauss zu spielen. Gavino gelingt seine Emanzipation. Im Militär wird ihm Bildung zuteil. Er schafft als ursprünglicher Analphabet gar den Sprung an die Universität. Zu verdanken hat er das unter anderem seinem Dienstkameraden Cesare (Nanni Moretti). Dieser bringt ihm die Wörter bei, paukt mit ihm im Schützenpanzer Latein. Gavino wird Schriftsteller und Universitätsdozent.
Ein poetisches wie melancholisches Bild
«Padre Padrone», unter anderem in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, bedeutete für die beiden Brüder Taviani den internationalen Durchbruch. Es ging bald weiter mit einer neuerlichen filmischen Meisterleistung. 1982 erschien «La notte di San Lorenzo», der in der Toskana spielt, der Heimat der Brüder. Es ist das Kriegsjahr 1944. Das Städtchen San Martino ist von den Deutschen besetzt. Sie haben Schlimmes vor. Omero Antonutti ist wieder mit dabei. Diesmal führt er als Bauer Galvano eine Befreiungsaktion an. Einige der Einwohner wollen rechtzeitig fliehen, heimlich die Stadt verlassen und den Amerikanern entgegengehen. Es wird eine ereignisreiche, abenteuerliche Reise in diesem Film, der Tragödie, Komödie und Melodram in einem ist.
Die italienische Filmreise von Paolo (*1931) und Vittorio Taviani (1929–2018) führt mit der DVD-Box auch nach Sizilien: In «Kaos» (1984) präsentieren sie nach vier Novellen von Nobelpreisträger Luigi Pirandello ein poetisches wie melancholisches Bild des italienischen Südens. Schliesslich, als Vermächtnis, ihr allerletzter gemeinsamer Film «Una questione privata» (2017): wieder ein Befreiungsfilm kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, diesmal im Piemont angesiedelt. Der Partisan Milton erinnert sich an die einst angebetete Fulvia und den Liebeskonkurrenten Giorgio, der ebenfalls im Widerstand kämpft.
DVD
Taviani – Magie und Wirklichkeiten
Padre Padrone, La notte di San Lorenzo, Kaos, Una questione privata
Regie: Paolo und Vittorio Taviani
4 DVDs, 494 Min. + Begleitbuch
(Trigon 2018)