Wieder gesehen: Döblin im filmischen Doppel
«Berlin Alexanderplatz»: Heinrich George spielte in der ersten Verfilmung von 1931 die Hauptrolle. Regisseur Rainer Werner Fassbinder adaptierte Alfred Döblins Roman 1980 zum 15-stündigen TV-Ereignis.
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Kulturtipp 15/2020
Urs Hangartner
1931, zwei Jahre nach dem Erscheinen des Buchs von Alfred Döblin, kommt «Berlin Alexanderplatz», konzentriert auf knapp eineinhalb Stunden, ins Kino. Es ist eine solide Adaption mit dem korpulenten Heinrich George in der Hauptrolle. Er liest Alfred Döblins Roman in Hollywood und regt erst an, daraus ein Theaterstück zu machen. Der Autor ist dagegen und arbeitet mit am Drehbuch, das schliesslich von Phil Jutzi verfilmt wir...
1931, zwei Jahre nach dem Erscheinen des Buchs von Alfred Döblin, kommt «Berlin Alexanderplatz», konzentriert auf knapp eineinhalb Stunden, ins Kino. Es ist eine solide Adaption mit dem korpulenten Heinrich George in der Hauptrolle. Er liest Alfred Döblins Roman in Hollywood und regt erst an, daraus ein Theaterstück zu machen. Der Autor ist dagegen und arbeitet mit am Drehbuch, das schliesslich von Phil Jutzi verfilmt wird – mit Heinrich George, Bernhard Minetti und dem Schweizer Heinrich Gretler in einer Nebenrolle.
100 Darsteller und 3000 Statisten
Vor 40 Jahren ist es an Rainer Werner Fassbinder, «Berlin Alexanderplatz» zum Film werden zu lassen: 1980 sendet die ARD die bislang teuerste TV-Produktion der Geschichte. Die Serie ist mit 13 Millionen Mark budgetiert. Sie wird in 14 Folgen und 15 Stunden ausgestrahlt. Ein Mammutunternehmen und gleichzeitig eine grosse Herzensangelegenheit für Fassbinder. Seit der Lektüre mit 14 Jahren ist ihm Döblins Roman «konkrete Lebenshilfe» als Jugendlicher. Aber mehr noch: Fassbinder betrachtet seine ambitionierte Döblin-Adaption als Summe seiner bisherigen Filmarbeit. Für die zwischen Zärtlichkeit und Zorn changierende, von Weichheit und Gewalttätigkeit gezeichnete zerrissene Figur des Franz Biberkopf schwebt ihm anfänglich der Franzose Gérard Depardieu vor.
Günter Lamprecht spielt schliesslich die Hauptrolle bravourös. An seiner Seite: Gottfried John als Reinhold. Für Fassbinder ist es Liebe zwischen zwei Männern, aber nicht in einem homoerotischen Sinn. Biberkopfs grosse Liebe Mieze wird von Barbara Sukowa verkörpert. Sie sind drei von insgesamt 100 Darstellern in dieser Produktion, für die 3000 Statisten verpflichtet wurden.
Die Kritik zeigt sich bei der Ausstrahlung 1980 gespalten. Viel Häme schüttet das Boulevard-Blatt «Bild» über Fassbinders Werk. Einmal abgesehen davon, dass die Bilder fürs Fernsehen «zu dunkel» seien, werden in der Filmreihe «Perversion», «Schmuddelsex» und «Pissoir-Atmosphäre» ausgemacht. «Bild» prophezeit gar «die teuerste und verheerendste Pleite» des deutschen Fernsehens. «Berlin Alexanderplatz» ist längst rehabilitiert. Spätere, erst nach Fassbinders Tod im Jahr 1982 erfolgte Kino-Vorführungen im Ausland finden ein positives Echo. Die US-Publizistin Susan Sontag etwa ist des Lobes voll. Getrost rühmen kann man das Werk spätestens dank der aufwendig digital restaurierten Fassung von 2007.
DVDs
Berlin Alexanderplatz
Regie: Phil Jutzi
D 1931
DVD, 84 Minuten
Bonus:
Hörspiel (2007)
Dok Heinrich George
(Arthaus 2008)
Berlin Alexanderplatz
Ein Film in 13 Teilen
und einem Epilog
Regie: Rainer Werner
Fassbinder
D 1980, Remastered,
6 DVDs/4 Blu-ray
930 Minuten
Viel Bonusmaterial
(Arthaus 2010/2017)