Ja, was ist sie nun, die Sängerin Conchita Wurst? «Ein weiblicher Spion, was sich für ein Mannsbild ausgeben tut?» Oder doch eher: «Ein Mannsbild, was sich für einen weiblichen Spion ausgeben tut.» So lautet der Dialog zu einer Karikatur des österreichischen Sängers Conchita Wurst im soeben herausgekommenen Cartoonband «Die letzten Tage der Menschheit». Der Wiener Karikaturist Daniel Jokesch hat Episoden aus dem antimilitaristischen Drama von Karl Kraus (1874–1936) gezeichnet und ironisch aktualisiert.
Kritik am Krieg
Der österreichische Satiriker Karl Kraus stand im Bann des Ersten Weltkriegs, als er in den Jahren 1915 bis 1922 diese Szenenfolge mit Anspruch auf Authentizität schrieb. Als der Krieg ausbrach, war der damals noch bürgerliche Kraus ein Patriot, der von der guten Sache überzeugt schien. Erst im November 1914 wandte er sich dagegen. In der Folge sammelte er akribisch Zeitdokumente, die von der Absurdität des Geschehens zeugten, und setzte sie nach und nach zu einer Szenenfolge zusammen, die so lange ist, dass sie als unaufführbar gilt. Kraus schätzte, dass sie zehn Theaterabende füllen würde.
Das Unterfangen erinnert an den englischen Schriftsteller Thomas Hardy, der zehn Jahre früher das Epos «The Dynasts» mit 131 Szenen über die Napoleonischen Kriege schrieb, das ebenfalls noch nie vollständig gezeigt werden konnte. Karl Kraus übt im Gegensatz zu Hardy allerdings viel expliziter Kritik am Krieg – und vor allem wesentlich humorvoller. Er verzichtete auch auf eigentliche Kriegsszenen, die bei Hardy das Geschehen dominieren.
Im Lauf der Jahrzehnte haben sich zahlreiche Theater- und Filmregisseure mit «Die letzten Tage der Menschheit» befasst und Ausschnitte davon nach Belieben umgesetzt. Das Vorgehen von Zeichner Daniel Jokesch hat also Tradition, auch er musste sich auf wenige, aber typische Episoden aus dem Werk beschränken.
Das gesamte Spektrum
Inhaltlich ist es Jokesch gelungen, das gesamte emotionale Spektrum von «Die letzten Tage der Menschheit» umzusetzen. Vom offenkundigen Witz wie mit der Conchita Wurst bis hin zur politischen Groteske, wenn der österreichische Kaiser Franz Joseph trällert: «Noch bisserl Blut sehn will ich, man nimmt an Weisheit zu …» Der Kaiser ist einer der historischen Protagonisten in dem Band, ein anderer ist der Publizist und Kriegspropagandist Moriz Benedikt. Der ebenfalls aus dem Original übernommene «Nörgler» kommentiert zudem das Geschehen kritisch wie eine Art antiker Chor: «Im Krieg gehts um Leben und Tod der Sprache.»
Inhaltlich am besten sind die Karikaturen, die den Alltagswahnsinn illustrieren. Da konstatiert ein Arzt: «Humanität hin, Humanität her, das ist alles recht schön, aber wie reimt sich das mit dem Patriotismus?» Solche und andere Phrasen gehörten damals zum Repertoire des senkrechten Bürgertums und sind heute noch in der einen oder andern Form zu hören, wenn in den Stammtischdebatten polemisiert wird.
Karl Kraus
«Die letzten Tage der Menschheit»
Erstausgabe: 1919
Gezeichnet von Daniel Jokesch
(Holzbaum 2014).