Wer sich schwer tut mit der bildenden Kunst, muss dieses Bild einatmen: «Morgen an der Seine, nahe Giverny» hat der französische Künstler Claude Monet sein Ölbild überschrieben. Offenkundig hat das Werk den US-Schriftsteller John Updike beeindruckt, denn er beschreibt es detailliert: «Das linke Drittel einer fast quadratischen Leinwand ist im Vordergrund von Pflanzen ausgefüllt; die übrigen zwei Drittel sind in der Waag-rechten durch die waldige Horizontallinie des Flusses unterteilt.» Das Bild gehört zu einer neunteiligen Reihe mit dem gleichen Sujet, die der Künstler in den Jahren 1896/97 gemalt hat. Der Betrachter erfährt durch dieses Gemälde eine Geschichte, nämlich wie sich Licht und Schatten an der Seine in der Normandie laufend verändern. Wenig nur, erkennbar in den subtilen Unterschieden der Bilder im Vergleich.
Eine illustre Auswahl von Künstlern in einem Band
Der Essay «Monet im Plural» von Updike ist Teil einer Textsammlung, die soeben mit dem lapidaren Titel «Über die Kunst. Schriften 1997–2008» auf Deutsch erschienen ist. Updike erweist sich darin als genauer Beobachter, der es versteht, visuelle Eindrücke in Worten umzusetzen: «Das Grün der Pflanzen im Vordergrund wird mit zunehmender Entfernung blauer; an einem nebligen Tag verschwinden sie im Nichts.»
John Updike (1932–2009) gehört zu den Grossen der US-amerikanischen Literatur mit mehr als 20 Romanen und unzähligen Kurzgeschichten. Berühmt wurde er mit seiner fünfteiligen «Rabbit»-Reihe: In deren Mittelpunkt steht der beziehungsgestörte Mittelstandsbürger Harry «Rabbit» Angstrom, der die Frustrationen der Wohlstand gesättigten, aber orientierungslosen US-Bürger nach 1950 versinnbildlicht.
Eine illustre Auswahl von Künstlern ist in dem Band über die Kunst versammelt: Sie reicht vom niederländischen Barockmaler Pieter de Hooch über den englischen Lichtinterpreten William Turner bis zum existenzialistischen US-Amerikaner Edward Hopper.
Von Comicstrips zur Kunst
Die deutsche Publizistin Antje Korsmeier erläutert im Nachwort Updikes Zugang zur Kunst: «Schon als Kind begeisterte sich Updike für die Comicstrips. Sorgfältig schnitt er die Bildserien aus, erstellte kleine Alben, und vor allem zeichnete er die Bilder nach – mit sechs Jahren beherrschte er bereits die gängigen Stile.» Updike hätte als Künstler genauso eine Laufbahn machen können wie als Schriftsteller.
Von dieser Nähe zwischen Literatur und bildender Kunst zeugt auch Updikes Essay über Edward Hopper: «In seinen Bildern scheint er stets eine Geschichte zu erzählen», konstatiert der Autor. Das Packende ist das Ungesagte, das sich der Betrachter selbst zusammenreimen muss. Updike erinnert zu Recht daran, dass Hopper ein Spätzünder war, der erst nach 40 den Durchbruch schaffte. Mit dem Ergebnis, dass seine Werke von einer tiefgründigen Lebenserfahrung zeugen.
Buch
John Updike
Über Kunst.
Schriften 1979–2008
354 Seiten
(Pieter Meyer 2018)