Alexander von Humboldt (1769–1859) war rastlos. Er bereiste fast jede Ecke dieser Welt und schrieb über seine Beobachtungen – manchmal Jahre später. Jetzt ist unter dem Titel «Alexander von Humboldt – Der Andere Kosmos» eine Auswahl seiner Publikationen in einem wunderbaren Band erschienen: 70 Texte von 70 Orten aus 70 Jahren. Darunter sind romantische Beschreibungen seiner Reiseeindrücke, etwa vom südamerikanischen Orinoco-Flusssystem: «Milde Kühle der Abendluft, ätherische Reinheit des gestirnten Firmaments, Balsamduft der Blüthen, welche der Landwind zuführte.»
Eindeutige Positionierung zugunsten der Schwachen
Andere Themen wiederum behandelt Humboldt nüchtern und knapp, etwa den Sklavenhandel: «Der Beweis wäre leicht zu führen, dass im gesamten Antillenarchipel gegenwärtig kaum 2,4 Millionen Neger und Mulatten (Freye und Sclaven) vorhanden sind; es hat im Zeitraume von 1670 bis 1825 nahe an fünf Millionen Africaner (negros bozales) erhalten.» Der Rest wurde offenbar verkauft oder ist verstorben. Wie viele andere: «Bei diesen empörenden Berechnungen von Menschenconsum ist noch keine Rücksicht genommen auf die Zahl jener unglücklichen Sclaven, die während der Überfahrt zu Grunde gingen oder die als verdorbene Waare in die See geworfen wurden.» Die kurze Passage wirkt auf den heutigen Leser zwar antiquiert, aber sie macht die humanistische Gesinnung des Verfassers deutlich zu einer Zeit, als Sklaverei immerhin umstritten, aber verbreitet war.
Der Berliner Alexander von Humboldt entstammte einer wohlhabenden Familie. Nach einer umfassenden Ausbildung betätigte er sich als Naturforscher und Ethnologe, zuerst in Europa, später vor allem in Süd- und Nordamerika. Er galt als eine intellektuelle Koryphäe seiner Zeit, zumal er stets eindeutig Position bezog zugunsten der Schwachen.
Die beiden Herausgeber Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich haben nun Texte aus zahlreichen Publikationen gesammelt – von den Zürcher «Annalen der Botanick» (1793) bis zu «The Mississippi State Gazette» (1823) mit «Das Grab eines Volkes», wo Humboldt von 600 «wohl erhaltenen Gerippen» schreibt. Humboldts Ausführungen, die sich auf die Aussagen der Indigenen stützen, lesen sich streckenweise geradezu makaber: «Die Leichen werden erst in den feuchten Boden gelegt, damit fleischige Theile sich allmählig zersetzen. Nach etlichen Monaten gräbt man sie wieder aus, um die noch an den Knochen befindlichen Theile mit gewetzten Steinen vollends abzuschaben.»
Plädoyer für weltweiten «Handelsverkehr»
Am besten sind seine visionären Texte in einem Aufsatz aus dem Jahr 1828 in den «Oldenburger Blättern» mit dem Titel «Über die künftigen Verhältnisse von Europa und Amerika»: «Die Unabhängigkeit der Colonien wird keineswegs ihre Trennung und Absonderung befördern, sondern vielmehr sie den Völkern früherer Gesittung annähern.» Humboldt plädiert in diesem Text für einen weltweiten «Handelsverkehr», den er als Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben sieht, was vielen heute einleuchtet.
Buch
Oliver Lubrich Thomas Nehrlich (beide Herausgeber)
Alexander von Humboldt – Der Andere KosmosIn verschiedenen Sprachen erstmals zwischen 1789 und 1859 erschienen. Heute erhältlich bei dtv.