Auf wilder Story-Jagd gerät Journalist Pinion in den Londoner Club von Herzog Marillac. Letzterer ist berühmt für seine Genussexzesse. Doch schon bald wittert der Zeitungsmann hinter Pomp und Prunk ein unglaubliches Geheimnis. Wie ihm Marillacs vier Freunde zuflüstern, soll der Luxusherzog tief im Inneren ein leidenschaftlicher Asket sein. «Er schwelgt in all den teuersten Dingen – die er nicht leiden kann. Besonders in denen, die er einfach abscheulich findet. Unter diesem Deckmantel kann ihn niemand der Tugend bezichtigen.»
Sehnsucht nach Sühne
Pinion versteht die Welt nicht mehr. Wozu soll das gut sein? Und was verbindet die vier Männer mit Marillacs Geheimnis? Ein jeder von ihnen, stellt sich heraus, wird eines schweren Verbrechens beschuldigt. Mord. Betrug. Diebstahl. Verrat. Dabei beteuern sie: «Wir alle sind, genau wie Marillac (…) weitaus schlechter erschienen, als wir eigentlich waren.» Ihre Taten sind geschehen, um Böses zu verhindern. Der Detektiv stellte statt Sünden verborgenen Tugenden nach.
Die vier Verbrecher sind so gut, dass es an Verrücktheit grenzt: Der Dieb etwa griff Pas-santen in die Taschen und brach in Häuser ein, um Geschenke zu hinterlassen. Zur Busse für die Grausamkeiten des Vaters will er Gutes tun – und dafür bestraft werden: «Sehen Sie denn nicht, wie oberflächlich diese modernen Menschen sind, wenn sie Ihnen erzählen, dass es so etwas wie Sühne und Wiedergutmachung gar nicht gibt, wo es doch genau das ist, wonach man sich mit ganzem Herzen geradezu krankhaft sehnt, angesichts der Sündhaftigkeit dieser Welt? (…) Er war grausam und wurde dafür gelobt. Jemand anderes musste liebevoll sein, ohne dafür Anerkennung zu erhalten.»
Der britische Schriftsteller und Journalist Gilbert K. Chesterton (1874–1936) hätte selbst gut in den Club der Missverstandenen gepasst. Auf die feine englische Art. Denn obgleich er sich verstreut und nachlässig gab, soll er in Wahrheit sehr gewissenhaft und strukturiert gearbeitet haben. So ist eine Vielzahl an Geschichten, Essays, Gedichten und Bühnenstücken entstanden. Weltbekannt geworden ist sein «Father Brown». Ein Geistlicher, der mit scharfem Sinn für die menschliche Psyche die obskursten Kriminalfälle aufklärt.
Gut und sanft dosiert
Chestertons Werke prägt ein feines Gespür für die richtige Dosis Satire. Er verstand es wie kein Zweiter, unaufdringlich und scheinbar zufällig aktuelle gesellschaftliche Themen in humorige Detektivgeschichten einzuflechten. Der überzeugte Katholik mit Vergnügen am Okkulten verarbeitete darin zudem tiefgründige metaphysische und theologische Gedanken. Stets mit einem sanften Hauch von Paradox.
So lässt sich in Gestalt der vier tugendhaften Verbrecher die Botschaft des Neuen Testaments vernehmen. Martin Gardner, Journalist und Chesterton-Verehrer, geht in seiner Interpretation sogar noch weiter: «Könnte es nicht sein, dass Gott das Böse zulässt, damit wir – zumindest zu Lebzeiten – nicht erkennen, wie gut er in Wirklichkeit ist?»
Die Erzählungen, die zwischen 1929 und 1930 unter dem Namen «Four Faultless Felons» veröffentlicht wurden, liegen nun erstmals in deutscher Übersetzung vor. Einmalig gut.
Gilbert K. Chesterton
«Vier verehrungswürdige Verbrecher»
Erstausgabe: 1930
Aus dem Englischen von Boris Greff und Matthias Marx
(Die Andere Bibliothek 2016).