Ramón José Sender gilt als wichtiger Exilschriftsteller Spaniens. 1901 in Aragonien im Nordwesten des Landes geboren, nahm er auf der Seite der Republikaner am Spanischen Bürgerkrieg teil. Seine Frau und sein Bruder wurden von den franquistischen Faschisten ermordet. Sender selbst entkam und verbrachte über die Hälfte seines Lebens im Exil: in Frankreich, Mexiko und in den USA, wo er 1982 starb.
Der Pfarrer hat Schuld auf sich geladen
Mit dem Bürgerkrieg in seinem Heimatland setzte sich der Schriftsteller in unzähligen seiner über 120 Werke auseinander. Etwa in den Romanen «Der König und die Königin» oder «Der Verschollene» (beide 1963 auf Deutsch erschienen). Die Geschichte «Requiem für einen spanischen Landmann», die 1952 entstand, siedelte er um das Jahr 1936 an. Damals wurden General Francisco Franco und seine Schergen gegen die demokratisch gewählte Regierung im Land aktiv.
Mosén Millán ist der Protagonist im Buch, das jüngst im Diogenes Verlag in neuer Übersetzung aufgelegt wurde. Der Pfarrer bereitet sich in der Kirche eines kleinen aragonesischen Dorfs nahe der Grenze zu Katalonien auf die Totenmesse (Requiem) für Paco el del Molino vor. Der junge Mann wurde ein Jahr zuvor von spanischen Faschisten erschossen. Er war zu aufmüpfig gewesen, zu kritisch, folglich zu gefährlich. Paco war beliebt im Dorf. Der Pfarrer hatte den Bauernjungen ebenfalls gut gekannt, «sie hatten einander immer gemocht». Unverständlich deshalb, dass der junge Rebell ausgerechnet durch das Verschulden des Geistlichen in die Hände der Mörder geriet.
Ein Jahr nach diesem schrecklichen Tod also hält Mosén Millán für die Angehörigen von Paco, für seine Freunde sowie die ganze Gemeinde einen Gedenkgottesdienst, «auch wenn er die Messe las, ohne dass jemand sie bestellt hätte». Noch ist keiner da, und in der Dreiviertelstunde, die bis zum Beginn der Messe bleibt, blickt der Gottesmann auf das Leben seines Schützlings zurück. Beim Versuch, das unfassbare Geschehen begreiflich zu machen, windet er sich aus der Verantwortung.
Die Gemeinde spielt nicht mit, die Kirche bleibt leer
Er versucht, sich von jeder Schuld reinzuwaschen, und offenbart dabei die eigene Feigheit sowie das Unvermögen, sein fatales Fehlverhalten einzusehen. Die Absolution, die er sich durch das Erscheinen vieler Menschen zur Messe erhofft, erhält er allerdings nicht. Das Gotteshaus bleibt leer.
Knapp, präzis und sachlich erzählt Ramón José Sender diese Geschichte, die eine erschreckende Wahrheit über Scheinheiligkeit und Frömmigkeit zutage fördert. Was im konkreten Fall als Kritik am Verhalten der Kirche in Zeiten des Spanischen Bürgerkrieges gewertet werden kann, lässt sich genauso gut als Parabel lesen. Auf subtile Art zeigt Sender ein Verhalten auf, das heute wie früher nicht selten ist: Beistand verwehren, wenn er vonnöten wäre, weil es darum geht, die eigene Haut zu retten. Eine spannende Lektüre, hervorragend übersetzt, mit einem aufschlussreichen Nachwort des österreichischen Schriftstellers und Sender-Experten Erich Hackl.
Buch
Ramón José Sender
Requiem für einen spanischen Landmann
Erstausgabe: 1952 Neuauflage 2018 bei Diogenes