Wieder gelesen: Verfechter des religiösen Fortschritts
Der alemannische Dichter Johann Peter Hebel war Theologe und vor allem ein aufgeklärter Pädagoge. Kürzlich sind seine «Biblischen Geschichten» neu herausgekommen.
Inhalt
Kulturtipp 01/2018
Rolf Hürzeler
Ein Lehrbuch für den entkrampften Umgang mit Religion: «Von der Zeit an erhielten sie, wie sie es wünschten, täglich ihr Gemüse und Wasser und gedeihten dabei immer besser. Darin ist kein Wunder zu suchen, aber eine gute Lehre.» Mit diesen Worten aus dem Alten Testament über das Wirken des Propheten Daniel gibt Johann Peter Hebel in seinen «Biblischen Geschichten» jungen Lesern praktische Lebenshilfe mit. Denn Hebel war kein pietistis...
Ein Lehrbuch für den entkrampften Umgang mit Religion: «Von der Zeit an erhielten sie, wie sie es wünschten, täglich ihr Gemüse und Wasser und gedeihten dabei immer besser. Darin ist kein Wunder zu suchen, aber eine gute Lehre.» Mit diesen Worten aus dem Alten Testament über das Wirken des Propheten Daniel gibt Johann Peter Hebel in seinen «Biblischen Geschichten» jungen Lesern praktische Lebenshilfe mit. Denn Hebel war kein pietistischer Frömmler, sondern ein Mann, der eine «aufklärerische Vernunftreligion» lehrte – und dies immerhin vor 200 Jahren. Jetzt sind seine, 1824 erschienenen «Biblischen Geschichten» in einem neuen Band herausgekommen.
Zu wenig fromm und jugendgefährdend
Diese Nacherzählungen der Heiligen Schrift blieben seinerzeit im süddeutschen Baden zehn Jahre lang amtliches Schulbuch. Danach mussten sie aus dem Unterricht verschwinden. Denn Hebels Fassung erschien besorgten Eltern in der folgenden Restauration als zu wenig fromm und damit jugendgefährdend.
Johann Peter Hebel wird in Süddeutschland und in der Nordwestschweiz bis heute als wichtigster alemannischer Dichter verehrt. Seine «Kalendergeschichten» und seine «Alemannischen Gedichte» gelten als Wegmarken des literarischen Schaffens in der Region. In der Stadt Basel gehört die von Hebel 1806 verfasste Hymne «Z’Basel an mym Rhy» zum Lokalkolorit, das jedermann kennt.
Hebel kam in Basel als Kind von süddeutschen Hausangestellten einer wohlhabenden Stadtfamilie zur Welt. Er wurde trotz seiner bescheidenen Herkunft über die Theologie und seine Schultätigkeit zu einem anerkannten Politiker im Parlament von Karlsruhe. Hebel war lange Zeit ein Bewunderer Napoleons und vertrat sozialreformerische Ideen. Auch seiner liberalen Haltung in Religionsfragen blieb Hebel stets treu: Er setzte sich vehement für die rechtliche wie gesellschaftliche Anerkennung der jüdischen Gemeinschaften ein, und er suchte den Ausgleich zwischen der lutherischen und der calvinistischen Glaubensrichtung.
Der Lehrer vermittelte die Bibel in 59 alt-testamentarischen und 61 neu-testamentarischen Kapiteln mit kurzen, einfachen Texten, sodass sie seine Schülerinnen und Schüler im Alter von 10 bis 14 Jahren leicht zu bewältigen vermochten.
Der Mitherausgeber und emeritierte Tübinger Theologe Karl-Josef Kuschel schreibt im Vorwort der neuen Ausgabe anschaulich von Hebels fortwährendem Dilemma zwischen Glauben und weltlicher Lebenshilfe: «Gemäss seiner ‹Populartheologie› drängt Hebel das Wunderhafte zugunsten von lebensnahen Gleichniserzählungen zurück, ohne aber rationalistisch auszuschliessen, dass Gott für einen Menschen ‹Wunderbares› bewirken könne.» Damit steht Hebel beispielgebend für viele Zeitgenossen im frühen 19. Jahrhundert. Sie spürten zwar, dass der rationale Aufbruch anstand, blieben aber in der christlichen Tradition verwurzelt.
Buch
Johann Peter Hebel
Biblische Geschichten
Erstausgabe: 1824
Neu herausgegeben von Karl-Josef Kuschel und Thomas Weiss bei Klöpfer & Meyer.