Mit kindlichen Worten beschreibt sie eine Erleuchtung: «Ein wunderschöner silberner Engel steht im Wolkenbaum, oben an der Haselecke, in meinem Wolkenbaum, ich nenne ihn so, er blüht im Sommer voller Rosawölkchen.» So berichtet Silja Walter von den spirituellen Empfindungen, die sie als sechsjähriges Mädchen erfahren hatte. Mit über 60 Werken hat sie eines der reichsten Œuvres der Schweizer Literaturgeschichte hinterlassen. Es umfasst Lyrik, Theaterstücke, Prosabände sowie Oratorien und theologische Ausführungen.
Episoden aus dem Alltag
Silja Walter (1919–2011) wurde in eine konservativ-katholische Familie hineingeboren und wuchs in Rickenbach bei Olten auf. Ihr Vater war der Solothurner Politiker und Verleger Otto W. Walter. Sie hatte sieben Schwestern und einen Bruder, den Schriftsteller Otto F. Walter. In Freiburg und Basel studierte sie Literatur, musste jedoch das Studium aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. 1944 veröffentlichte sie ihre ersten Gedichte, fünf Jahre später trat sie in das Benediktinerinnen-Kloster Fahr bei Zürich ein, wo sie bis zu ihrem Tod lebte. In einem Gespräch mit der NZZ bezeichnete sie die Entscheidung für das Klosterleben als den besten und den wichtigsten Schritt in ihrem Leben: «Ich weiss nicht, was mein Leben für einen Sinn hat ohne den Glauben an die Auferstehung in Christus.» In diesem Gespräch wird deutlich, dass Silja Walter keine duldsame Nonne war. Als Schester Maria Hedwig war sie energisch und durchsetzungsfreudig. Jähzorn bezeichnet sie als ihren grössten Fehler.
In ihren Aufzeichnungen «Der Wolkenbaum» erinnert sie sich als 72-jährige Frau an Episoden aus ihrer Kindheit und schildert unbeschönigt die alltäglichen Geschehnisse aus der Warte des Kindes. Im Mittelpunkt steht ein turbulentes Familienleben, etwa wenn der Vater die Nerven verliert: «Wenn Papa schreit, weiss niemand genau warum, es sind dann meistens eine Menge Dinge passiert, die ihn zum Schreien und Türknallen bringen.»
Auch Zeitgeschichtliches findet sich in dem Buch, etwa wenn sie über «Plüscheri» schreibt, ein Kriegskind aus Belgien. Hinter unschuldigen Worten öffnen sich da die Abgründe des Ersten Weltkriegs. Witzig hingegen ist die Schilderung der politischen Karriere des Vaters, der in den 20er-Jahren katholisch-konservativer Nationalrat war: «Hermine und Johann sind sicher, dass Papa gewählt wird. Die Leute im Dorf auch, sie kämen dann mit Lampions, und die Musik probe schon den Marsch für Papa.» So oder ähnlich ist es geschehen, Otto W. Walter zog in den Nationalratssaal ein.
Am 23. April jährt sich ihr Geburtstag zum 100. Mal. Zum Jubiläum finden zahlreiche Veranstaltungen statt.
Theater
Ich habe den Himmel gegessen
Di, 23.4., 19.30 Kloster Fahr ZH
Sa, 4.5., 20.00 Kloster Kappel am Albis ZH
Weitere Daten: www.himmelgegessen.ch
Der Engel
Sa, 30.3., 19.30 Katholische Kirche Mümliswil SO
So, 31.3., 17.00 Alte Kirche Romanshorn TG
Fr, 5.4., 20.00 Evangelisches Kirchgemeindehaus Altstätten SG
So, 7.4., 17.00 Kath. Kirchgemeinde Baden AG
So, 5.5., 20.00 Kath. Kirche Dornach SO
Jan der Idiot
Sa, 6.4., 20.00 Jugendkirche Einsiedeln SZ
Weitere Daten: www.theater58.ch
Radio
So, 31.3., 10.00 SRF 2 Kultur
Radiogottesdienst aus der Klosterkirche Fahr – Pater Martin Werlen vom Kloster Einsiedeln interpretiert in seiner Predigt die Texte von Silja Walter
Ausstellung
100 Jahre Silja Walter
Di, 23.4.–So, 19.5.
Heimatmuseum des Schwarzbubenlandes Dornach SO
Silja-Walter-Weg
Öffentlicher Stationenweg zur freien Begehung
Ab So, 28.4., Kloster Fahr
Alle Veranstaltungen im Überblick: www.siljawalter.ch
Buch
Silja Walter
Der Wolkenbaum – Meine Kindheit im alten Haus
Erstausgabe: 1991
Heute erhältlich im Paulus Verlag