Wer vom Ziel nicht weiss, kann den Weg nicht haben, wird im selben Kreis all sein Leben traben; kommt am Ende hin, wo er hergerückt, hat der Menge Sinn nur noch mehr zerstückt.
So beginnt das Gedicht von Christian Morgenstern (1871–1914), das dem kürzlich neu aufgelegten Band im Maro Verlag den Titel gegeben hat. Der deutsche Dichter philosophiert darin über den Weg des Lebens und kommt zum Schluss, dass Bescheidenheit und Mut zum Ziel führen: «Denn zu fragen ist / nach den stillen Dingen, / und zu wagen ist, / will man Licht erringen.»
Frühes Interesse für die Philosophie
«Mit Morgenstern durch das Jahr», lautet der Untertitel des hübsch gestalteten Bändchens, das auch einige handschriftliche Nachdrucke enthält: Für jeden Tag steht ein Gedicht oder Aphorismus, oft passend zur Jahreszeit. Seine Frau Margareta Morgenstern hatte diesen poetischen Jahreszyklus 1939 zusammengestellt – 25 Jahre nach dem Tod des Dichters. Die Bibliothekarin Heidrun Haase hat die Auswahl zeitgemäss angepasst und Gedichte, die später von den Nationalsozialisten vereinnahmt wurden, durch andere ersetzt.
Christian Morgensterns kurzes Leben war geprägt vom frühen Verlust seiner Mutter, die an Tuberkulose starb und ihrem Sohn die Lungen-Krankheit übertragen hatte. Zeitlebens versuchte er, dem Leiden mit Kuraufenthalten in den Bergen und am Meer Herr zu werden. Sein Vater hatte für ihn eine Offizier-Laufbahn vorgesehen. Morgensterns Interesse galt allerdings schon früh der Philosophie von Nietzsche oder Schopenhauer, und er arbeitete als Journalist und Übersetzer. In späten Jahren fand er sein Glück mit seiner Frau Margareta und in der engen Freundschaft mit Rudolf Steiner, dessen anthroposophische Lehre er verinnerlichte. Von der Rettung «in ärgster Not» berichtet er in den autobiografischen Notizen, die im Nachwort angefügt sind. Seine letzte Gedichtsammlung «Wir fanden einen Pfad» widmete er Rudolf Steiner. Mit 43 Jahren starb Morgenstern an den Folgen der Tuberkulose.
Konventioneller als die «Galgenlieder»
Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass sich Morgenstern einer ernsten Dichtung verpflichtet sah, für die er sich mehr Aufmerksamkeit gewünscht hätte. Er wollte sich nicht nur als «loser Spassmacher» und «pfiffiger Worteschaumschläger» sehen, wie er sagte. Allerdings wurde Morgenstern nicht umsonst mit seinen humoristischen «Galgenliedern» und anderer grotesk-fantastischer Lyrik berühmt. Während die humorvollen Gedichte vor Sprachwitz sprühen, kommt seine «ernste» Dichtung formal konventioneller und besinnlicher daher; sie ist geprägt von spirituellen Einsichten. Im Band «Wer vom Ziel nicht weiss» lässt sich diese unbekanntere Seite von Morgenstern entdecken.
Buch
Christian Morgenstern
«Wer vom Ziel nicht weiss»
Hg. Heidrun Haase
Erstausgabe: 1939 (Hg. Margareta Morgenstern)
Heute erhältlich im Maro Verlag.