Dumm gelaufen, könnte man sagen – oder etwa doch nicht? «Auf seiner Wange war ein Streifen Blut, und ein Rinnsal floss seinen Mundwinkel herab.» Diesen Befund macht der Engländer Edward Blake vor dem Spiegel, nachdem er seinem Leben mit einer Pistole ein Ende setzen wollte – und damit scheiterte. Er lebte in der Zwischenkriegszeit, im Jahr 1928, allein in Berlin. Der englische Schriftsteller Christopher Isherwood beschreibt die makabre Szene in seinem zweiten Roman «Das Denkmal» aus dem Jahr 1932.
Vom Leiden eines jungen Mannes
Isherwood? Ältere Leser werden sich an das Kinomusical «Cabaret» mit Liza Minelli von 1972 erinnern. Die Handlung dieser Produktion beruht auf einer Erzählung von Christopher Isherwood, der von 1929 bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 in Berlin lebte. Er erkundete damals die lokale Schwulenszene, die in «Das Denkmal» andeutungsweise Niederschlag findet.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der junge Eric Vernon, Spross einer wohlhabenden englischen Familie mit mondänem Familiensitz in der Grafschaft Cheshire. Allerdings sind die prächtigen, gesellschaftlichen Zeiten seit dem Ersten Weltkrieg Vergangenheit. Zumal Erics Vater in einem französischen Schützengraben sein Leben verlor.
Der junge Mann erscheint dem Leser zu feinfühlig für diese Welt. Er leidet an seinen Freunden und an seiner Familie. Am schlimmsten setzt ihm jedoch seine Orientierungslosigkeit zu. Der Begriff «Lost Generation» für die Zwischenkriegsgeneration passt exakt auf ihn: «Er war mit einer Art abergläubischen Furcht aufgewachsen, an der Vergangenheit herumzupfuschen, vielleicht noch verstärkt durch die Erzählungen seiner Mutter.» Eric leidet unter einem konstant schlechten Gewissen gegenüber seiner Mutter Lily, die den Verlust ihres Mannes nie verkraften konnte.
In der damals modischen Erzählart wechselt Christopher Isherwood immer wieder die Erzählperspektive, ähnlich wie Virginia Woolf in ihrem Kultroman «Zum Leuchtturm». So beschreibt er eine Schlüsselszene wie die Einweihung eines Kriegsdenkmals aus der Sicht von Lily und ihrer Schwester: Mit dieser Technik der «Erlebten Rede» vermag der Autor, die Missverständnisse und das Misstrauen zwischen den beiden Schwestern anschaulich zu vermitteln. Zudem teilt er den Roman in vier Bücher mit einer Zeitspanne von 1920 bis 1929 auf, was ihm raffinierte Rückblenden erlaubt.
Soziale Spannungen der 30er-Jahre
Isherwood muss ein feines zeitgeschichtliches Gespür gehabt haben. Zwar schrieb er diesen Roman vor der nationalsozialistischen Zeitenwende. Aber immer wieder scheinen die sozialen Spannungen jener Tage auf: «Leider weiss diese Klasse nicht immer zu schätzen, was man für sie tut», lässt Isherwood Erics Mutter mit Standesdünkel konstatieren. Der Schriftsteller selbst war eine Weile lang dem Kommunismus zugetan, setzte sich aber in der Folge politisch vor allem für die Schwulenbewegung ein.
Buch
Christopher Isherwood
Das Denkmal
Erstausgabe: 1932
Aus dem Englischen von Georg Deggerich
Heute erhältlich bei Hoffmann & Campe