Zündel hat Zoff: Seine Angetraute Magda hat der Beziehung Distanz verordnet, die Sommerferien sollten beide getrennt voneinander verbringen. So macht er sich alleine auf nach Griechenland. Doch als er kurz vor der Abreise auf der Fähre von Ancona nach Patras einen Zahn verliert, macht er rechtsumkehrt. Im Zug zurück findet er in der Toilette einen menschlichen Finger – und im Abfallkübel sein eigenes leeres Portemonnaie.
Kühler Empfang
Das Leben meint es nicht gut mit dem Lehrer Mitte 30. «Pausenlos muss man sich bewähren», klagt er. Und: «Heutzutage wird nämlich alles geschützt, nur der Mann nicht.» Als er viel zu früh wieder auf der heimatlichen Matte steht, bereitet ihm seine Magda einen äusserst kühlen Empfang. Sie fühlt sich eingeengt, der Alltag hat ihre Beziehung eingeholt. Zündels Entgegnung ist zur Streitschlichtung nicht besonders hilfreich: «Deine Sätze riechen nach Frauengruppe. Deine grandiose Offenheit ist im Moment genauso Mode wie deine läppische Rübenhose.»
Der aufgeheizte Geschlechterdiskurs der 80er ist spürbar in Markus Werners erstem Roman «Zündels Abgang». Ansonsten hat sein Roman von 1984 keinen Staub angesetzt. Es sind allgemein menschliche Themen, die seinen Protagonisten umtreiben: Das Lebensglück, das sich einfach nicht einstellen will, der öde Alltag, verpasste Träume. Sein Antiheld hat bereits mit Mitte 30 resigniert: «Ab heute ist Schluss, ab heute wird nichts mehr begriffen. Das Ende der Billigung ist da. Das Ende der Verdammung ist da. Ich möchte auf einer Bank sitzen in einem Park und sagen können: Mir fällt zu allem nichts mehr ein.»
Nach Magdas Abweisung reist Zündel erneut ab – an den Ort seiner Zeugung nach Genua. Dort versinkt er in einer tristen Herberge im Alkohol und in düsteren Gedanken: «Die Wirklichkeit – seelenruhig fürchterlicher und unbeschreiblicher werdend von Tag zu Tag – zwingt entweder zu totalem Rückzug oder zum jaulenden Anarchismus», schreibt er in sein Notizheft. Dieser desolate Zustand hält auch nach seiner Rückkehr in die Schweiz an: Zündel fällt komplett aus der Rolle und verschwindet schliesslich von der Bildfläche …
Markus Werner erzählt diese Geschichte eines Sinnsuchenden auf zwei Ebenen: Zündels Erlebnisse und seine immer düster werdenden Notizen wechseln ab mit den nüchternen Betrachtungen des Ich-Erzählers Viktor: Zündels Freund, der rekonstruiert, was sich vor dessen Abgang zugetragen hat.
Ruhelos Suchende
Trotz aller Düsternis, die Werners lakonischem Roman innewohnt, trotz seines an der Welt verzweifelnden Antihelden, ist «Zündels Abgang» auch ein komisches, herrlich absurdes Buch. Der Autor legt damit den Grundstein für seine sechs späteren Werke, die allesamt von ruhelos Suchenden handeln, denen trotz Lebensüberdruss die Ironie nicht abhandenkommt. Die Welt betrachten sie stets aus überraschender Perspektive, staunen über Details, über die andere hinwegsehen.
In den letzten Jahren ist es ruhig geworden um den sprachmächtigen Thurgauer Autor, der zurückgezogen lebte und an einer schweren Lungenkrankheit litt. Sein letzter Roman «Am Hang» erschien 2004: Regisseur Markus Imboden verfilmte die Geschichte über zwei disputierende Männer, die sich unversehens als Kontrahenten entpuppen. Am 3. Juli ist Markus Werner 71-jährig in Schaffhausen gestorben.
Markus Werner
«Zündels Abgang»
128 Seiten
Erstausgabe: 1984
Heute erhältlich bei Fischer.