Der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie telefoniert täglich zwei, drei Stunden. Das ist für ihn der sicherste Weg der Verständigung mit der Aussenwelt. Denn die religiösen Eiferer im Iran haben Rushdie wegen seines Buchs «Die satanischen Verse» 1989 in einer Fatwa, einer islamischen Rechtsauslegung, zum Tod verurteilt. Danach sah Rushdies Alltag so aus: «Ich mache Computerspiele. Schach. Super Mario. Ich bin ein Meister in Super Mario I und II.» Von diesem Drama berichtete Martin Amis 1990. Es ist eines seiner zwischen den 1980ern bis heute entstandenen Essays. Der deutsch-österreichische Autor Daniel Kehlmann hat sie jetzt im Essay-Band «Im Vulkan» herausgegeben.
Von Malcom Lowry bis Vladimir Nabokov
Der Titel erinnert an Malcom Lowrys Kultroman «Unter dem Vulkan». Diesem ungewöhnlich trinkfesten Autor widmete Amis ebenfalls einen Text: «Als er nach Mexiko kam mit 26, goss er jede Menge Flüssigkeit, die herumstand, in sich hinein, da ja eine Chance bestand, dass sie Alkohol enthielt. Einmal trank er eine ganze Flasche Olivenöl, ‹weil ich dachte, das wäre Haarwasser›.» Amis’ Fazit über den mit 48 Jahren verstorbenen Lowry ist indes eher tragisch: «Wenn man durch den Scherbenhaufen seines Lebens hindurch mit zusammengekniffenen Augen zurückzublicken versucht, fragt man sich, wie es ihm je gelingen konnte, überhaupt etwas zu schreiben – wie er je einen Scheck unterzeichnen konnte.»
Amis’ grosse Liebe gilt dem russisch-amerikanischen Schriftsteller Vladimir Nabokov (1899–1977), eine Bewunderung, die er mit Daniel Kehlmann teilt, wie dieser im Vorwort schreibt. Gleich drei Texte widmet Amis dem «Lolita»-Autor und schildert die sexuelle Ausbeutung junger Mädchen. Ausser Nabokov habe «kein Mensch in der Geschichte unserer Welt mehr dafür getan, die Grausamkeit, die Gewaltsamkeit und die trostlose Schmutzigkeit dieses speziellen Verbrechens lebendig werden zu lassen». Amis’ Schlussfolgerung: «Das Problem hat mit der Bosheit des Alters zu tun.» Wie belastet dieses Thema ist, zeigt sich, als Amis Vera Nabokov besucht, die Witwe des Autors. Amis brachte es während des langen Gesprächs nicht über sich, zu fragen, wer denn Lolita tatsächlich gewesen sei.
Eine Reihe politischer Texte
Eine ähnliche Frage hätte er dem US-amerikanischen Filmregisseur Roman Polanski stellen können, den Amis ebenfalls interviewt hat, ohne wirklich auf dessen dunkle Seite zu sprechen zu kommen: «Er redet viel und laut daher seine Suada ist voll von Klischees und von bewusst auf Zitierbarkeit angelegten vorgefertigten Sprüchen: ‹Ich mag Essen, ich mag Frauen und besonders mag ich Frauen, die gerne essen›.»
Kehlmanns Sammlung von Amis’ Essays enthält auch eine Reihe politischer Texte. Dazu gehören seine Warnungen vor dem militanten Islamismus, den er für eine Bedrohung des westlichen Wertesystems hält. Gefahr kommt laut Amis indes auch von anderer Seite. US-Präsident Donald Trump erinnere ihn an den ursprünglichen Narziss. Er hält den Präsidenten nicht nur für einen Versager im Amt, sondern auch für einen «Bewunderer des Zuschlagens». Und das mache ihn gefährlich.
Buch
Martin Amis
Im Vulkan
Herausgegeben von Daniel Kehlmann
Aus dem Englischen von Joachim Kalka
315 Seiten
(Kein & Aber 2018)