Das ist eheliche Partnerschaft im besten Sinn des Wortes. «Du hattest Deinen eigenen Kreis, Dein eigenes Leben, während Du gleichzeitig voll und ganz das meine teiltest.» Diese Worte schrieb der österreichisch-französische Polit-Aktivist und Philosoph André Gorz (1923–2007) vor zehn Jahren an seine Frau Dorine. Sie war mit 83 Jahren schwer erkrankt, und er konnte sich eine Welt ohne sie nicht vorstellen. Die beiden beschlossen, im Herbst 2007 ihrem Leben gemeinsam ein Ende zu setzen. Der Rotpunktverlag hat nun den kleinen Band «Brief an D.» von Gorz an seine Frau neu aufgelegt. Der Text ist ein rührendes Bekenntnis zu einer intensiven Beziehung.
Die wichtigste Konstante im Leben
Aber nicht nur, es ist gleichzeitig das politische Manifest eines Mannes, der sein Privatleben nie von seinen politischen Überzeugungen zu trennen vermochte. Der unorthodoxe Linke Gorz wurde zu einer Identifikationsfigur der 68er-Bewegung. Er schrieb zahlreiche Bücher, in denen er die westliche Wohlstandsgesellschaft kritisierte. Sein Werk «Wege ins Paradies» aus dem Jahr 1983 war eine Analyse der ökonomischen Krise der späten Nachkriegszeit und wurde zu einem Kultbuch der Gesellschaftskritiker. Gorz’ Thesen prägten später die politische Auseinandersetzung der Sozialdemokratie ebenso wie der Grünen. Er lieferte den theoretischen Hintergrund einer Linken, die den Kapitalismus nicht radikal und absolut ablehnte, aber dennoch grundsätzlich infrage stellte, und gleichzeitig unter dem Versagen des realen Sozialismus in der Sowjetunion litt.
Die wichtigste Konstante im Leben von Gorz war die Beziehung zu seiner Frau Dorine Keir, einer gebürtigen Engländerin, die er im Exil in der Schweiz kennenlernte. Er wandte sich in geradezu bürgerlich anmutenden Liebeserklärungen an sie: «Mit Dir war ich anderswo, an einem fremden, mir selbst fremden Ort. Du botest mir einen Zugang zu einer Andersheit.»
André Gorz kam in Wien zur Welt, erlebte den Krieg in einem Schweizer Internat und studierte an der ETH Lausanne. 1949 zog er mit seiner Frau nach Paris. Eine Begegnung mit Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir bestimmte seine weitere Entwicklung; Gorz arbeitete mit ihnen in den 60er-Jahren bei der Zeitschrift «Les Temps Modernes». Danach gehörte Gorz zu den Mitbegründern von «Le Nouvel Observateur». Dem politischen Magazin, das noch heute eine der wichtigsten Stimmen in der französischen Politik ist. Das Paar wurde nach und nach Teil der links-intellektuellen Elite des Landes, die in jener Zeit das französische Geistesleben viel mehr bestimmte als heute. «Unsere Ethik bereitete uns darauf vor, den Mai 68 und was darauf folgte, mit Freuden zu begrüssen. Wir haben Vive la révolution sofort den Vorzug gegeben vor der Gauche prolétarienne.»
Ernüchternde Bilanz eines Philosophen
Gorz stand zwar stets im Rampenlicht der Öffentlichkeit, erkannte aber, wie hohl diese gesellschaftliche und mediale Anerkennung war. «Ich hatte den Eindruck, mein Leben nicht gelebt zu haben», schreibt er seiner Frau, «es immer aus der Entfernung beobachtet zu haben, nur eine Seite meiner selbst entwickelt zu haben und als Person sehr arm zu sein. Du bist und warst immer sehr viel reicher als ich. Du hast Dich in all Deinen Dimensionen entfaltet.» Eine etwas ernüchternde Bilanz für einen Philosophen, der sich als Vorkämpfer einer besseren Gesellschaft sah.
Buch
André Gorz
«Bried an D.»
120 Seiten
Duetsche Erstausgabe: 2007
Neu erhältlich beim Rotpunktverlag