Die Lehrerin Miss Jean Brodie ist eine Frau «in der Blüte ihrer Jahre», wie sie selbst zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit betont. An der Mädchenschule im Edinburgh der 30er-Jahre eckt sie mit ihren unkonventionellen Lernmethoden bei den konservativen Lehrerinnen und der ­Direktorin an. Um sich geschart hat sie sechs Mädchen, die ­«Crème de la Crème», die sogenannte «Brodie-Clique». Ihnen bringt sie alles bei, was für sie zum «Wahren und Schönen» zählt: über die italienischen Renaissance-Maler oder die richtige Anwendung von Hautcrèmes, aber auch Geschichten über das Liebesleben der Autorin Charlotte Brontë – oder über ihre ­eigenen Verehrer. Von den Naturwissenschaften hält sie wenig, dafür umso mehr vom Faschismus. Aus ihrer Faszination für Mussolinis Schwarzhemden und für Hitler macht sie keinen Hehl. 

Sandy, die klügste unter den Mädchen, erahnt schon früh das ambivalente Wesen der exal­tierten Lehrerin – und ihr Geschick zur Manipulation: «Sandy kam der Gedanke, dass die Brodie-Clique Miss Brodies ‹­fascisti› waren, zwar nicht in ­einer für das blosse Auge erkennbaren Marschformation, aber doch in einem besonderen, anderen Gleichschritt vor ihren Karren gespannt.» 

Der Roman der schottischen Schriftstellerin Muriel Spark (1918–2006) ist 1960 erschienen und seit der Verfilmung 1969 mit Maggie Smith in der Hauptrolle zum Klassiker avanciert. Hochkomisch sind ihre Schilderungen der pubertären Fantasien der Mädchen, bissig ihre gesellschaftskritische Analyse, scharfsinnig ihre Gedanken zu Moral, Macht und Verrat. Stilistisch setzt sie auf Vor- und Rückblenden sowie zahlreiche wortwörtliche Wiederholungen einzelner Sätze, die im Roman wie Echos erklingen. 

Bei Diogenes ist nun eine Neuübersetzung von Andrea Ott mit einem erhellenden Nachwort der schottischen Autorin Candia McWilliam erschienen. 

Buch
Muriel Spark 
Die Blütezeit der Miss Jean Brodie
Deutsche Erstaus­gabe: 1962
Heute erhältlich bei Diogenes