Der russische Schriftsteller Vladimir Nabokov war sehr verliebt in seine frisch angetraute Frau Véra. Er leitete seine Briefe mit selber ausgetüftelten Kreuzworträtseln ein und fand jeden Tag ein neues Kosewort für sie. Mal nannte er sie Spätzchen, mal Kuschel, mal Knäuelchen. Seine Briefe an sie waren lange, geradezu hymnisch und oft mit ihr gewidmeten Gedichten versehen. Der Leser spürt das Feuer, das dieses Paar weitertragen wird, über Krisen hinweg und durch nüchternere Zeiten hindurch bis zum Tod.
Sorgsam kommentiertes Werk
Am 8. Mai 1923 hatte der 24-jährige Nabokov die etwas mehr als zwei Jahre jüngere Véra Slonim auf einem Wohltätigkeitsball von Exilrussen in Berlin kennengelernt. Sie trug eine Maske, denn sie wollte nicht, dass der Dichter von ihrem Äusseren abgelenkt würde. Bald wurden sie ein Paar.
1977 stirbt Nabokov in Lausanne. 14 Jahre später folgt sie ihm nach – und hütete bis dahin sein Werk. Auch seine Briefe an sie, die jetzt in der Nabokov-Gesamtausgabe «Briefe an Véra» zum ersten Mal auf Deutsch veröffentlicht wurden, sorgsam kommentiert und mit einer informativen Einleitung von Brian Boyd versehen. Ohne ihre Antworten. Denn die hat Véra vernichtet, weil sie sie nicht für wichtig hielt.
In seinem umfangreichen Vorwort leuchtet Boyd aus, was sich nicht in den Briefen findet. Zum Beispiel, was es mit jenen «abscheulichen Gerüchten» auf sich hatte, die Nabokov am 20.April 1937 in einem Brief aus Paris erwähnt: Er hat eine Geliebte, seine Frau hat in Berlin davon erfahren. Ihre Ehe wird in eine ernsthafte Krise geraten.
Eine tiefe Poesie durchzieht Nabakovs Briefe. Er ist ein wundervoller Beobachter der Natur, Schmetterlinge etwa sind eine grosse Leidenschaft von ihm. Zudem vermitteln die Briefe einen Einblick in den Alltag eines der grossen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.
Mit dem Roman «Lolita» zum Erfolg
Wie ein Fisch im Wasser bewegt sich der Dichter unter den Exilrussen. Er verdient seinen Lebensunterhalt auf Lese- und Vortragsreisen sowie mit Privatstunden. Trotz ewiger Geldnot ist er ein unverdrossener Optimist im Gegensatz zur schwermütigeren Véra. 1940 siedeln die Nabokovs mit ihrem sechsjährigen Sohn Dmitri in die USA über; 1955 setzt mit dem skandalumwitterten Roman «Lolita» der grosse Erfolg ein.
Nabokovs Briefe leuchten diesen langen Weg aus, allerdings nur etappenweise. Denn Briefe schreibt er an seine Frau naturgemäss nur, wenn sie getrennt sind: im Sommer 1926 etwa, als sie sich im Schwarzwald erholt, oder 1941, als er auf Vortragstournee durch diverse Colleges in den USA reist. Obgleich Nabakov im Januar 1937 das nationalsozialistische Deutschland verlassen muss, bleibt das Politische fast vollständig ausgespart.
Ebenso wie Véra durch das Fehlen ihrer Briefe ausgespart bleibt. Obwohl sie enorm viel für ihren Mann geleistet hat, «aber zu ihren eigenen Bedingungen», wie Boyd anmerkt. In Europa und Amerika habe sie eine Waffe auf sich getragen, schreibt er weiter. «Und sie war stolz, dass Dmitri als erfolgreicher Rennfahrer und Besitzer mehrerer Ferraris und Rennboote sie dafür lobte, dass sie fahre wie ein Mann.»
Buch
Vladimir Nabokov
Briefe an Véra
1147 Seiten
Erstausgabe vonBrian Boyd und Olga Voronina
(Rowohlt 2017).