Sie hasste Hercule Poirot. Der schrullige Privatermittler, immerhin ihre Eigenschöpfung, war für die englische Krimiautorin Agatha Christie ein «bedingungsloser Egoist», dessen Eitelkeit nicht zum Understatement passte. Poirot, wiewohl Belgier, hatte zudem einen starken französischen Akzent, und Franzosen gingen ihr zeitlebens auf den Geist.

Dennoch kam Poirot in «Alibi», einem ihrer besten Romane, zum Einsatz und nicht etwa Miss Marple, die mütterliche Schnüfflerin, die Christie ihrer geliebten Grossmutter nachempfun­den hatte. Poirot hatte die Ehre, weil Miss Marple 1926 noch keinen literarischen Niederschlag gefunden hatte. Agatha Christies (1890–1976) grosse Zeit als Erzählerin knisternder Geschichten stand erst bevor. «Alibi» verriet jedoch, welches Talent in der Autorin steckte, Grund genug, zu ihrem 125. Geburtstag den Band wieder zu lesen – am besten in einem Zug.

Der Landarzt James Sheppard erzählt als Ich-Erzähler die Geschichte vom Tod der begüterten Witwe Mrs. Ferrars, einem typischen Selbstmord. Später wird die Leiche von Roger Ackroyd gefunden, der die Witwe ehelichen wollte. Jetzt bietet sich, wie so oft bei Agatha Christie, ein Kreis Verdächtiger an, die alle ­etwas zu verbergen haben: Vom Hausmädchen mit einer luschen Vergangenheit bis zur Schwägerin Ackroyds, die ausser Schuldenmachen nichts beherrschte.

Sittengemälde

Am Schluss kommt alles anders, als man denkt. Doch das allein macht den Reiz des Buchs nicht aus. Agatha Christie verstand es meisterhaft, die Figuren ihrer eigenen gesellschaftlichen Klasse, der englischen Mittelschicht in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, zu parodieren und wie Puppen tanzen lassen. So zeichnete sie ein ironisches Sittengemälde mit wenig Blut und viel Spannung.     

Buch
Agatha Christie 
«Alibi»
Dt. Erstausgabe («Roger Ackroyd und sein Mörder»): 1928
Heute erhältlich bei Atlantik.