Der Held sass in der Falle: «Die Polizei hat festgestellt, dass dieser ein alter Galeerenhäftling ist, ein gewisser Jean Valjean, der 1796 wegen Diebstahls verurteilt wurde.» Der nüchterne Satz war im Sommer 1823 in der Lokalzeitung des nordwestlichen Departements Pas-de-Calais zu lesen. Dahinter versteckten sich menschliche Abgründe. Im Zeitungsartikel war die Rede vom Bürgermeister des Dorfs Montreuil-sur-Mer in der Normandie, der eine düstere Vergangenheit hatte. Nach seiner Entlarvung durch den ehrgeizigen Polizeiinspektor Javert wurde er seines Amtes enthoben und verhaftet. Damit erlitt der gute Valjean einen neuerlichen Schicksalsschlag, nachdem er schon früher jahrelang in Ketten geschmachtet hatte. Das ist alles etwas dick aufgetragen, dafür aber authentische Literatur des 19. Jahrhunderts.
Victor Hugo – ein literarischer Leuchtturm
Die Verhaftung des Vorbestraften am Bett einer todkranken Prostituierten ist eine Schlüsselszene im Klassiker «Les Misérables» («Die Elenden») des französischen Schriftstellers Victor Hugo (1802–1885). Dieser hatte den melodramatischen Roman über Recht und Unrecht 1862 im Exil auf den englischen Kanalinseln geschrieben. Jetzt kommt das Musical in der englischsprachigen Version erstmals in die Schweiz, nachdem es in Paris und London während Jahrzehnten zu sehen war.
Victor Hugo ist in Frankreich und England ein literarischer Leuchtturm. Der aus Besançon, nahe der Schweizer Grenze stammende Autor verbrachte einen Grossteil seines Lebens auf den britischen Kanalinseln, weil er unter dem reaktionären Napoleon III. in seiner Heimat politisch verfolgt wurde. Dabei war Victor Hugo keinesfalls ein politischer Heisssporn, sondern verstand es geschickt, sich mit den Herrschenden zu arrangieren, solange sie ihn in Ruhe liessen.
Die Handlung von «Les Misérables» zieht sich über 17 Jahre von 1815 bis zum Pariser Juni-Aufstand 1832 hin. Hugo unterbricht den Erzählfluss immer wieder mit moralischen und politischen Ausführungen.
Menschenfreund versus korrupter Bösewicht
Die Romangeschichte lebt im ersten Teil vom Gegensatz des ehemaligen Sträflings Valjean und des Polizeiinspektors Javert: Der eine, Valjean, verkörpert den Gesetzesbrecher, ist aber ein moralisch intakter Menschenfreund. Der andere, Javert, steht zwar für Recht und Ordnung, ist aber ein im Geiste korrupter Emporkömmling, der das Böse verkörpert, bis seine Leiche im Wasser schwimmt.
Valjean beweist seine Unbestechlichkeit im Kampf um Cosette, die Tochter der sterbenden Prostituierten. Er rettet sie aus der Gosse und setzt sich wie ein fürsorglicher Vater unter Lebensgefahr für ihr Glück ein, anstatt die Kleine in ein Kloster zu stecken, wie es sich für ein uneheliches Mädchen gehört hätte: «Dieses Kind, begriff er, hatte ein Recht darauf, die Welt kennenzulernen …» Ein bisschen süss gewiss, aber exakt der Stoff für ein populäres Musical.
Musical
Les Misérables
Premiere: Di, 21.1., 19.30
Theater 11 Zürich
www.musical.ch/lesmis
Buch
Victor Hugo
Les Misérables – Die Elenden
Dt. Erstausgabe: 1910
Heute erhältlich im Aufbau Verlag