Wieder gelesen: Im Rausch der heiligen Strasse
Auf eine 40 Meter lange Papierrolle schrieb Jack Kerouac «On the Road». Als Hommage an diese Rohfassung erscheint der Roman nun als Buchrolle.
Inhalt
Kulturtipp 11/2019
Simon Knopf
Wer die Freiheit sucht, das lehren uns Literatur und Film zur Genüge, der muss mit dem Auto losfahren. Die Strasse ist einer der grossen Mythen der USA. Schliesslich erschlossen schon die Pioniere das Land mit ihren Planwagen – geh nach Westen und erschaffe dich neu. In Jack Kerouacs «On the Road» sagt der Protagonist einmal: «… ich hatte halb Amerika durchquert, stand an der Wasserscheide zwischen dem Osten meiner Jugend und dem Westen meiner Zukunft &hell...
Wer die Freiheit sucht, das lehren uns Literatur und Film zur Genüge, der muss mit dem Auto losfahren. Die Strasse ist einer der grossen Mythen der USA. Schliesslich erschlossen schon die Pioniere das Land mit ihren Planwagen – geh nach Westen und erschaffe dich neu. In Jack Kerouacs «On the Road» sagt der Protagonist einmal: «… ich hatte halb Amerika durchquert, stand an der Wasserscheide zwischen dem Osten meiner Jugend und dem Westen meiner Zukunft …» Der Schriftsteller spielt in seinem Roman mit dem Mythos der Strasse. Und schuf dabei gleich selber einen.
Seine Sätze nehmen das Tempo der Fahrt auf
«On the Road» kam 1957 heraus und wurde zur Bibel der Beat-Generation, zur Gebrauchsanweisung für alle Nonkonformisten. Kerouac (1922–1969), ein US-Amerikaner mit franko-kanadischen Wurzeln, war als Tramper durch die Vereinigten Staaten gereist. Seine Erlebnisse verarbeitete er zu diesem autobiografischen Roman über einen Rastlosen. Innerhalb von nur drei Wochen schrieb er ihn 1951 nieder. Im spontanen, assoziativen Fluss sollte der Text entstehen, im «stream of consciousness». Also spannte er ein fast 40 Meter langes Band aus zusammengeklebtem Zeichenpapier in seine Schreibmaschine und tippte im Kaffeerausch drauflos.
«On the Road» übt auch heute noch eine Sogwirkung auf den Leser aus. Denn da brechen zwei mit den gesellschaftlichen Konventionen. Ich-Erzähler Sal Paradise und sein Vorbild Dean Moriarty queren auf mehreren Reisen die USA – in Bussen, auf Lastwagen und in gestohlenen Autos. Sesshaft sein? Arbeiten? Wofür! «Der amerikanische Trübsinn und der amerikanische Irrsinn kannten kein Ende», sagt Sal einmal über die bürgerliche Eltern-Generation. Mit Aussenseitern umgeben er und Dean sich stattdessen; dem Rausch geben sie sich hin.
Und dann ist da Kerouacs Sprache, die all die Rastlosigkeit und Raserei, Ekstase und Melancholie spiegelt. Seine Sätze nehmen das Tempo der Fahrt auf: «Das dunkle und geheimnisvolle Ohio und Cincinnati im Morgengrauen. Dann wieder die Felder von Indiana und St. Louis wie eh und je unter den Nachmittagswolken in seinem weiten Tal.» Oder sie sind lyrische Momentaufnahmen: «Ganz allein in der Nacht hing ich meinen Gedanken nach und steuerte den Wagen an der weissen Linie der heiligen Strasse entlang. Was hatte ich vor?»
Als Hommage an Jack Kerouacs 40-Meter-Manuskript gibt der Berliner Verlag Round not Square den Roman nun auf zwei Rollen von je 16 Metern heraus. Gedruckt wird jener Rohtext, der erstmals 2010 auf Deutsch erschien. Dieser ist ungehobelter und deutlich autobiografischer – Sal und Dean aus den frühen Auflagen sind hier Jack Kerouac und der Autor Neal Cassady. Die Buchrolle hält sich zudem typografisch an Kerouacs Manuskript: das Schriftbild der Underwood-Schreibmaschine, die verrutschten Zeilen, die fehlenden Seitenumbrüche. Ein Text wie ein Rausch – ein Text wie eine einzige lange Strasse.
Buch
Jack Kerouac
On the Road
Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach
Limitierte Auflage