Ein Freund erleidet einen Schlaganfall, gross ist die Anteilnahme. «Er starb zehn Tage nach seiner Erhebung in den Adelsstand – ein bemerkenswerter Fall von verspätetem Schock.» Das ist der Humor des Schriftstellers Anthony Powell (1905–2000), der in jenen Kreisen verkehrte, über die er grösstenteils autobiografisch schrieb. Jetzt erscheint nach und nach sein zwölfbändiger Zyklus «Ein Tanz zur Musik der Welt» auf Deutsch, mehr als ein halbes Jahrhundert nach der englischen Fassung. Der Titel ist eine Reverenz an das gleichnamige Gemälde des französischen Barockmalers Nicolas Poussin, das Tänzerinnen beim lustvollen Reigen zeigt: «Diese allegorische Darstellung der Zeit weckt Gedanken an das irdische Leben», heisst es auf den ersten Seiten.
Unterschwellige und pfeffrige Andeutungen
Powell gehörte zur Generation von Autoren wie Evelyn Waugh, Graham Greene und George Orwell, ohne dass er deren Berühmtheit erreichte. Seine Bücher verkauften sich jedoch gut, zumal die Leserschaft seinen Namen aus konservativen Publikationen wie dem «Spectator» oder dem «Daily Telegraph» kannte. Er schrieb mit zurückhaltender Feder: keine Provokationen, nur unterschwellige Andeutungen, aber pfeffrige.
Im ersten Band «Eine Frage der Erziehung» ist der Ich-Erzähler Nick Jenkins in der Abschlussklasse an der Eliteschule von Eton. Das wird zwar nicht explizit gesagt, erschliesst sich der englischen Leserschaft indes sogleich: Hier herrscht zu Beginn der 20er-Jahre ein rigides Schulreglement, das zu Verstössen geradezu einlädt. Jenkins sowie seine Schulfreunde Stringham und Templer führen das schöne Leben angehender, gut betuchter Gentlemen: Dazu gehören allerdings familiäre Zerwürfnisse, denn man verfügt zwar über grosse finanzielle Mittel, ist aber todunglücklich. Und da ist Kenneth Widmerpool, ein Mitschüler und Kotzbrocken, der immer gerade dort auftaucht, wo man ihn am wenigsten braucht. Zum Beispiel in einem französischen Landhaus, wo sich Erzähler Jenkins die Fremdsprache aneignen will. Der Nichtsnutz Kenneth hatte die Eigenschaft, jedes Gespräch zu stören «mit gespitzten Lippen und aufgeblasenen Backen».
Ein facettenreiches Sittengemälde
In dieser Lebensphase gehören die Schmetterlinge im Bauch zu den schönen Erfahrungen eines jungen Mannes, und sie flattern bei Jenkins heftig. Autor Powell schildert sie mit eleganter Zurückhaltung – und Hilflosigkeit: «Ihr Verhalten gab in gewissem Grade meinen Gefühlen ihr gegenüber in meinem Bewusstsein feste Formen und gleichzeitig mein Gewahrwerden einer ganzen Serie von Empfindungen und Befürchtungen …» Hier redet einer, der die Liebe noch nicht ganz im Griff hat.
Powell verzichtet auf das Erzählen einer stringenten Geschichte. Er zeichnet vielmehr ein facettenreiches Sittengemälde. Darin finden sich – im Gegensatz zu Poussin – auch politische Anspielungen. Etwa an die «französische Wiederbesetzung des Ruhrgebiets im Hinblick auf die Verknappung des Roheisens auf dem Weltmarkt». Da wird dem Leser klar, welche Frage die Menschen damals umtrieb.
Buch
Anthony Powell
Eine Frage der Erziehung
Englische Erstausgabe: 1951
Erstmals auf Deutsch bei dtv (2017)