Am 24. Mai 1725 gab es im Flecken Tyburn bei London ein Volksfest. Denn dort, wo heute der Marble Arch steht, thronte der Stadtgalgen. Der Verbrecher Jonathan Wild wurde an diesem Tag aufs Schafott geführt und baumelte zum Gaudi der Massen in der milden Frühlingsluft. Der Prolet Wild war ein Genie. Er schaffte im 17. Jahrhundert den Aufstieg aus der Gosse in Wolverhampton zum Milieukönig von London. Er führte das organisierte Verbrechen an und kooperierte gleichzeitig mit den Behörden, um diese unter Kontrolle zu halten. Wild war zunächst eine beliebte Figur, bis sein Doppelspiel aufflog. Seither ist er eine literarische Figur. «Robinson Crusoe»-Autor Daniel Defoe schrieb eine Biografie über ihn ebenso wie Henry Fielding.
Nach 200 Jahren die erste deutsche Fassung
Als Erster aber erkannte der Bühnenautor John Gay den künstlerischen Wert der Figur Wild und schrieb 1728 «The Beggar’s Opera». Diese wurde vor 200 Jahren im Westend erfolgreich aufgeführt mit der Figur Mackie Messer und dem Bettlerkönig Peachum als Verbrecher in den Hauptrollen – beide nach dem gehängten Vorbild Wild geformt. Pikanterweise verliebt sich in der Bühnenversion der Geschichte Peachums Tochter Polly in Mackie Messer.
Die Brecht-Freundin und Übersetzerin Elisabeth Hauptmann hatte das Stück in der Zwischenkriegszeit in London gesehen und empfahl dem Schriftsteller eine deutsche Fassung zur Wiedereröffnung des Berliner Schiffbauerdamm-Theaters 1928. Bertolt Brecht, Elisabeth Hauptmann, der Komponist Kurt Weill und dessen Frau Lenya erarbeiteten «Die Dreigroschenoper» an der französischen Riviera.
Sie schrieben ein Musikstück in drei Akten, das Korruption und soziale Misere als «episches Theater» auf die Bühne bringt. Die Geschichte von Liebe und Verrat spielt zwar in der Londoner Unterwelt, ist aber als Parabel auf den Kapitalismus zu verstehen. Sozialkritische Songs unterbrechen die Handlung immer wieder, um die politischen Aussagen zu verdeutlichen, ohne aber lehrmeisterlich zu wirken.
Der Probenbeginn in Berlin war am 1. August 1928. Doch das Stück stand unter einem schlechten Stern. Brecht verkrachte sich mit Ensemble-Mitgliedern und dem Regisseur Erich Engel. Später kamen Plagiatsvorwürfe des Theaterkritikers Alfred Kerr dazu. Auch das Publikum hatte bei der Uraufführung seine liebe Mühe mit der «Dreigroschenoper». Erst nach und nach erwärmten sich die Premierenbesucher und brachen zum Schluss sogar in tosenden Applaus aus. Das Musikstück ist heute ein Klassiker der deutschsprachigen Theaterwelt; nunmehr eher Unterhaltung als revolutionärer Umsturz mit Gassenhauern wie «Und der Haifisch, der hat Zähne …»
Die deutsche Regisseurin Tina Lanik inszeniert die «Dreigroschenoper» zum Saisonbeginn am Schauspielhaus Zürich mit Elisa Plüss, Jirka Zett und Klaus Brömmelmeier.
Die Dreigroschenoper
Premiere: Do, 14.9., 20.00
Schauspielhaus Zürich
Buch
Bertolt Brecht
«Die Dreigroschenoper»
Erstmals erschienen: 1928
Heute erhältlich bei Suhrkamp.
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