Wieder gelesen - Genaue Beobachtung, wenig Analyse
Die US-amerikanische Kriegsreporterin Martha Gellhorn berichtete jahrelang über Kriege im 20. Jahrhundert. Jetzt sind ihre Reportagen neu herausgekommen.
Inhalt
Kulturtipp 19/2012
Rolf Hürzeler
So friedlich kann Krieg sein. «Es war kalt, aber im Grunde zu schön; jedermann horchte ständig nach den Sirenen, und wenn wir die Bomber sahen, waren sie winzige Silberkugeln in stetigem Aufwärtsflug.» Mit diesen Worten berichtet die US-amerikanische Kriegsreporterin Martha Gellhorn (1908–1998) vom dritten Winter im Spanischen Bürgerkrieg. Truppenverbände unter dem faschistischen General Francisco Franco putschen 1936 gegen die legitime linke Regieru...
So friedlich kann Krieg sein. «Es war kalt, aber im Grunde zu schön; jedermann horchte ständig nach den Sirenen, und wenn wir die Bomber sahen, waren sie winzige Silberkugeln in stetigem Aufwärtsflug.» Mit diesen Worten berichtet die US-amerikanische Kriegsreporterin Martha Gellhorn (1908–1998) vom dritten Winter im Spanischen Bürgerkrieg. Truppenverbände unter dem faschistischen General Francisco Franco putschen 1936 gegen die legitime linke Regierung der spanischen Republik.
Das ist die Ausgangslage des ersten Krieges, den Martha Gellhorn als Reporterin begleitete. Wie von einem Virus angesteckt, folgte sie danach sämtlichen Kriegen des 20. Jahrhunderts bis zum Bürgerkrieg in Nicaragua, als die von den US-Amerikanern unterstützten Contras die gewählte Linksregierung stürzen wollten.
Die gute Beobachterin
Martha Gellhorn war im finnischen Krieg gegen die Sowjets dabei, und sie verfolgte den chinesischen Widerstand gegen die japanische Invasion. Umfassend ist ihre Berichterstattung über den Zweiten Weltkrieg. Gellhorn überflog mit US-amerikanischen Bomberpiloten Deutschland, sie war nach der Normandie-Invasion auf einem Lazarettschiff, und sie besuchte das Konzentrationslager Dachau unmittelbar nach der Befreiung. Streckenweise sind ihre Schilderungen fast nicht auszuhalten. Denn Gellhorn schont ihre Leserschaft nicht, etwa wenn sie von den Napalm-Opfern US-amerikanischer Angriffe berichtet.
Der Spanische Bürgerkrieg war nach dem Ersten Weltkrieg das Fanal für die folgenden Kriege. Gellhorn erkannte, wie sehr die Zivilbevölkerung unter der Gewalt zu leiden hatte: «Ein kleiner Junge schrie laut, und den anderen Kindern, die es hörten, machte sein Jammern Angst. Die Schwester erklärte, dass er heute erst verwundet worden war bei einem der Morgenangriffe. Und natürlich habe er Schmerzen, aber vor allen Dingen Heimweh. Wir standen still und hilflos an seinem Bett und versprachen, ihm morgen etwas zu essen zu bringen, wenn er nur aufhören würde zu weinen …» Die ersehnte Mutter erschien dann doch noch, und es kam zu einem herz- zerreissenden Wiedersehen.
So erschütternd Gellhorns Beobachtungen, so undifferenziert waren streckenweise ihre politischen Analysen. «Ich habe es längst aufgegeben zu wiederholen, dass die Männer, die für die Republik kämpften und starben, egal ob sie Kommunisten, Anarchisten, Sozialisten waren … sich durch Uneigennützigkeit auszeichneten.» Der englische Sozialist George Orwell zeichnete ein anderes Bild dieser Republik, die sich auch in einem Zweifrontenkrieg gegen die Stalinisten wehren musste. Diese wandten sich gegen Sozialisten und Anarchisten, was 1937 zu einem Aufstand in Barcelona führte. Gellhorn kannte allerdings Orwells Schriften sehr genau und erweist ihm im Buch sogar die Reverenz. So schreibt sie: Nur er hätte die Worte gefunden, um über die US-Aggression in Vietnam zu berichten.
[Buch]
Martha Gellhorn
«Das Gesicht des Krieges. Reportagen 1937–1987»
567 Seiten
(Dörlemann 2012).
[/Buch]