Mit 78 Jahren hatte er alles Wesentliche geschrieben. So jedenfalls tat Gerhard Meier 1995 kund in einem Filmporträt von Friedrich Kappeler. Und man glaubte dem alten Mann aus Niederbipp im Berner Mittelland, der zwar nicht sonderlich viel geschrieben hatte, dafür Gehaltvolles und international Gefeiertes. In knapp 20 Jahren waren Gedichte, Stücke, Romane dieses sonderlichen Poeten entstanden, der erzählend hinterfragte, was die Welt offenbarte in allen Dingen und in dem, was mitschwang.
Ein Abschiedstext für das «geliebte Dorli»
Dann, 14 Jahre nach seinem letzten Roman, überraschte Gerhard Meier (1917–2008) mit einem nachgereichten schmalen Bändchen. «Ob die Granatbäume blühen» ist eine hochpoetische Elegie. Ein Abschiedstext für das «geliebte Dorli», Meiers Frau, die nach exakt 60 gemeinsamen Ehejahren 1997 gestorben war. Meier blickt darin auf Reisen zu zweit zurück, auf gemeinsam gelesene Bücher und auf Blumen, Sträucher, Bäume, die er mit Dorli zusammen bewundert, teils auch gepflanzt und gepflegt hatte. Diese Betrachtungen sind, weil fachkundig und detailliert geschrieben wie wissenschaftliche Zeichnungen, interessant für Botaniker und Hobbygärtner. Aber nicht nur, weil sich Meiers Poesie – und poetische Prosa – eben durch jene Kunst auszeichnet des Spürbarmachens von Mitschwingendem, Unsichtbarem.
Gerhard Meier, der Zeit seines Lebens in Niederbipp lebte, aber ausgedehnte Reisen vor allem in den Osten unternahm, war ein Meister darin, das Allgemeine und Universelle zu sehen im Kleinen. In seinem Kunstort Amrain liess er die Welt geschehen wie Friedrich Dürrenmatt in seinem Güllen oder Friedrich Glauser in Randlingen. Als Meiers Hauptwerk gilt die Romantetralogie über die alten Freunde Baur und Bindschädler, die einander auf Spaziergängen rund um Amrain die Welt erklären.
«Ob die Granatbäume blühen» ist Gerhard Meiers persönlichstes und letztes Buch; drei Jahre nach Erscheinen starb er 91-jährig. Der Band war lange vergriffen. Zu Meiers 100. Geburtstag gibt ihn der Zytglogge Verlag neu heraus.
Hörspiel und Feature auf Radio SRF 2 Kultur
Aus gleichem Anlass sendet Radio SRF 2 Kultur zudem die Hörspiel-Fassung. Der österreichische Musiker und Regisseur Janko Hanushevsky hat das schmale Werk 2015 als DLF-Produktion mit dem Aargauer Schauspieler Ueli Jäggi inszeniert. Zu hören ist auch das Feature «Das Ohr der Welt in Meiers Garten»: Derselbe Janko Hanushevsky geht darin von Meiers Texten aus, spricht mit seiner Enkeltochter Christina sowie dem Literaturwissenschaftler und Meier-Freund Werner Morlang.
Hörspiel
Ob die Granatbäume blühen
So, 25.6., 17.06 Radio SRF 2 Kultur
Radiofeature
Das Ohr der Welt in Meiers Garten
Fr, 23.6., 20.00 & So, 25.6., 15.03 Radio SRF 2 Kultur
Buch
Gerhard Meier
«Ob die Granatbäume blühen»
Erstausgabe: 2005
Neu erschienen beim Zytglogge Verlag.