Mademoiselle liebt es lauschig. Sie hat sich für ihre Eskapaden ein Appartement an der schicken Pariser Rue de Rivoli gemietet. Denn die Opiumsüchtige will ein «eigenes Rauchkabinett», das auch ihren «improvisierten Liebesabenteuern (meist zu dritt oder zu viert) dient».
Gewagte Schritte in die Freiheit
So beschrieb der französische Schriftsteller Victor Margueritte (1866–1942) das Leben seiner Romanheldin Monique Lerbier in seinem Buch «La Garçonne». Die junge Frau stammt aus einer wohlhabenden Familie, sie selbst macht ein Vermögen mit Inneneinrichtungen. Aber mit der Liebe will es bei Monique Lerbier nicht klappen. Sie sehnt sich nach einer gleichberechtigten und erfüllten Beziehung, die sie jedoch im bürgerlichen Paris der Zwischenkriegszeit nicht finden kann. So nimmt sie sich wie ein Mann alle erdenklichen Freiheiten heraus, was den Titel «La Garçonne» erklärt, der dem Roman nach der Publikation 1922 zum Skandal gereichte.
Victor Margueritte ist heute vergessen: «La Garçonne» blieb sein einziges erfolgreiches Buch, das ihm allerdings ein Vermögen einbrachte. Der Roman mit seinen amourösen Freizügigkeiten provozierte zwar die französischen Sittenhüter. Aber er traf genau die Fantasien der Pariser Bohème, die nach dem Schrecken des Ersten Weltkriegs eine Weile an die zügellose Freiheit glaubte. «La Garçonne» erreichte eine Millionenauflage und wurde in zwölf Sprachen übersetzt.
Margueritte war der Sohn eines Generals, brachte es zum Offizier in der Armee und zum Mitglied der Ehrenlegion. Diese Anerkennung wurde ihm wegen «La Garçonne» allerdings entzogen, was den Verkauf des Buchs weiter befeuerte. Der Schriftsteller fand sich zusehends als Autor in der linken Presse heimisch. Er wurde Pazifist und setzte sich vor allem für die Gleichstellung von Frau und Mann ein. In diesem Licht wollte er seinen Roman verstanden haben, auch wenn das Buch mit seinen freizügigen Schilderungen kaum allen Feministinnen gefallen wird.
Zum Auftakt von «La Garçonne» verschachert Moniques Vater seine naive Tochter an einen Kriegsgewinnler, um mit dieser Allianz gute Geschäfte machen zu können. Sie durchschaut das Spiel zwar, steigt aber erst aus, als sie erkennt, dass ihr Zukünftiger eine Geliebte hat.
Monique löst die Verbindung auf und sagt sich von ihrer Familie los. Sie eröffnet einen Antiquitätenladen für Interieurs, mit denen sie die Pariser Gesellschaft bedient. Gleichzeitig geniesst sie die Sünden mit Frauen und Männern. Sie verliebt sich in einen Nackttänzer, der sie indes schmählich im Stich lässt, was sie weiter vom Pfad der Tugend abbringt: «Ihr Triumph auf dem gesellschaftlichen Parkett erfreute sie nur insofern, als er ihr materielle Unabhängigkeit sicherte. Die Gesellschaft liess sich von Monique all das gefallen, was sie ihr zum Vorwurf gemacht hätte, wäre sie mittellos gewesen.»
Buchillustrationen im Kunsthaus Zürich
Das Zürcher Kunsthaus erinnert in seiner aktuellen Ausstellung «Schall und Rauch» zu den 20ern auch an «La Garçonnne». Das Museum zeigt Illustrationen des holländischen Künstlers Kees van Dongen aus zeitgenössischen Ausgaben, die damals für Furore sorgten.
Ausstellung
Schall und Rauch Bis So, 11.10., Kunsthaus Zürich
Buch
Victor Margueritte
La Garçonne
Übersetzung: Joseph Chapiro
Deutsche Erstausgabe: 1923
Heute erhältlich bei Ebersbach & Simon