Die Büste ist imposant – mit Lorbeerkranz und einem Christuskreuz auf der Brust. Mit diesem Denkmal ehrt die Gemeinde Meersburg am Bodensee die deutsche Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, die ihre letzten Jahre auf dem alten Schloss des Städtchens verbracht hat: «Der Königin der deutschen Dichterinnen. Gewidmet von Freunden der Muse 1898» steht etwas schwülstig zu lesen. Ehrfurcht ist also am Platz.
Tatsächlich gehört die adlige Schriftstellerin Droste-Hülshoff (1798–1848) bis heute zum Kanon der deutschen Mittelschulliteratur. Generationen von Schülern haben das Reclam-Bändchen «Die Judenbuche – Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen» gelesen; der Dörlemann-Verlag gibt es nun in einem sorgfältig gebundenen Band neu heraus.
Feines Gespür für Entwicklungen
Die von Droste-Hülshoff in der Form einer Mystery-Geschichte erzählten Geschehnisse sollen sich in einem «Dorf B.» in einem fiktiven Kleinstaat im 18. Jahrhundert zugetragen haben, zur Zeit vor der Französischen Revolution also, als die Welt «noch in Ordnung» war.
Oder eben nicht. Denn Holzdiebe, «die Blaukittel», treiben ihr Unwesen im Land. Als der Oberförster ihnen auf die Spur kommt, findet er den Tod. Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse schildert die Autorin die Geschichte der zwei Jungen Johannes Niemand und Friedrich Mergel, der zuerst mit dem Tod des Försters in Verbindung gebracht wurde und dann mit dem Mord an dem jüdischen Geschäftsmann Aaron, der Mergel an einer Hochzeitsfeier blossstellte. Die Schriftstellerin hat die Geschichte nach einem Drama geschrieben, das sich im Jahr 1782 im Fürstbistum Paderborn zugetragen hat. Auch dabei ging es um die Ermordung eines Juden.
Annette von Droste-Hülshoff zeichnet in diesem Lehrstück die antisemitischen Ressentiments nach, die in jener Zeit nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa verbreitet waren. Die Frau entwickelte ein feines Gespür für die gesellschaftlichen Unterschiede in der vorrevolutionären Zeit, als die Klassenschranken schier unüberwindlich waren.
Droste-Hülshoff selbst führte das zumindest vordergründig privilegierte, aber einsame Leben einer deutschen Adligen. Die einfühlsame Autorin litt indes unter den Zwängen ihrer Familie und wagte nie ein Leben ausserhalb der familiären Schranken. Ein Liebesgedicht etwa, das sie an den von ihr bewunderten, aber jüngeren Philosophen Christoph Bernhard Schlüter schrieb, schreit geradezu nach Zuwendung und Liebe.
Die Romantik prägt die Lyrik der Schriftstellerin
Im Gegensatz zur «Judenbuche» prägt die damals weitverbreitete Romantik ihre Lyrik. Diese hinderte sie an der Entfaltung ihrer zweiten Begabung – ihrer Musikalität. Die Dichterin war auch eine respektierte Komponistin, entschied sich aber schliesslich für das Wort.
Immerhin bot sich das Schloss Meersburg ihres Schwagers als ein Refugium ausserhalb ihrer westfälischen Heimat. Die von Droste-Hülshoff in den letzten Lebensjahren bewohnten Zimmer können noch heute besucht werden und vermitteln dem Besucher einen kleinen Eindruck vom engen Leben in den schweren Mauern dieser ursprünglich mittelalterlichen Burg. Die Dichterin verstarb dort mit 51 Jahren an einer Lungenentzündung.
Buch
Annette von Droste-Hülshoff
«Die Judenbuche»
Erstmals erschienen: 1842
Deutsche Neuauflage bei Dörlemann.